Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen
thut.

Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst
wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht
liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick
der Ewigkeit.

Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter
einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn
ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Süsse
haben.

Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und
Arznei deinem Freunde? Mancher kann seine eignen
Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein
Erlöser.

Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein.
Bist du ein Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben.

Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein
Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht
der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe.

In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und
Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch
in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch
Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte.

Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig:
Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder,
besten Falles, Kühe.

Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig.
Aber sagt mir, ihr Männer, wer von euch ist denn
fähig der Freundschaft?

Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen
thut.

Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst
wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht
liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick
der Ewigkeit.

Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter
einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn
ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Süsse
haben.

Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und
Arznei deinem Freunde? Mancher kann seine eignen
Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein
Erlöser.

Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein.
Bist du ein Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben.

Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein
Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht
der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe.

In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und
Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch
in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch
Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte.

Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig:
Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder,
besten Falles, Kühe.

Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig.
Aber sagt mir, ihr Männer, wer von euch ist denn
fähig der Freundschaft?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="78"/>
Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen<lb/>
thut.</p><lb/>
          <p>Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst<lb/>
wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht<lb/>
liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick<lb/>
der Ewigkeit.</p><lb/>
          <p>Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter<lb/>
einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn<lb/>
ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Süsse<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und<lb/>
Arznei deinem Freunde? Mancher kann seine eignen<lb/>
Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein<lb/>
Erlöser.</p><lb/>
          <p>Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein.<lb/>
Bist du ein Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben.</p><lb/>
          <p>Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein<lb/>
Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht<lb/>
der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe.</p><lb/>
          <p>In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und<lb/>
Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch<lb/>
in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch<lb/>
Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte.</p><lb/>
          <p>Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig:<lb/>
Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder,<lb/>
besten Falles, Kühe.</p><lb/>
          <p>Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig.<lb/>
Aber sagt mir, ihr Männer, wer von euch ist denn<lb/>
fähig der Freundschaft?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0084] Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen thut. Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick der Ewigkeit. Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Süsse haben. Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? Mancher kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein Erlöser. Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben. Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe. In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch Überfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte. Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig: Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe. Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig. Aber sagt mir, ihr Männer, wer von euch ist denn fähig der Freundschaft?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/84
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/84>, abgerufen am 25.04.2024.