Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen
des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am
stärksten glauben macht, -- glauben an sich macht!

Morgen hat er einen neuen Glauben und über¬
morgen einen neueren. Rasche Sinne hat er, gleich
dem Volke, und veränderliche Witterungen.

Umwerfen -- das heisst ihm: beweisen. Toll
machen -- das heisst ihm: überzeugen. Und Blut gilt
ihm als aller Gründe bester.

Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft,
nennt er Lüge und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur
an Götter, die grossen Lärm in der Welt machen!

Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt
-- und das Volk rühmt sich seiner grossen Männer!
das sind ihm die Herrn der Stunde.

Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich:
Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du
willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen?

Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei
ohne Eifersucht, du Liebhaber der Wahrheit! Niemals
noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Un¬
bedingten.

Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine
Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder
Nein? überfallen.

Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen:
lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre
Tiefe fiel.

Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich

Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen
des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am
stärksten glauben macht, — glauben an sich macht!

Morgen hat er einen neuen Glauben und über¬
morgen einen neueren. Rasche Sinne hat er, gleich
dem Volke, und veränderliche Witterungen.

Umwerfen — das heisst ihm: beweisen. Toll
machen — das heisst ihm: überzeugen. Und Blut gilt
ihm als aller Gründe bester.

Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft,
nennt er Lüge und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur
an Götter, die grossen Lärm in der Welt machen!

Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt
— und das Volk rühmt sich seiner grossen Männer!
das sind ihm die Herrn der Stunde.

Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich:
Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du
willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen?

Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei
ohne Eifersucht, du Liebhaber der Wahrheit! Niemals
noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Un¬
bedingten.

Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine
Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder
Nein? überfallen.

Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen:
lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre
Tiefe fiel.

Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0076" n="70"/>
          <p>Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen<lb/>
des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am<lb/>
stärksten glauben macht, &#x2014; glauben an <hi rendition="#g">sich</hi> macht!</p><lb/>
          <p>Morgen hat er einen neuen Glauben und über¬<lb/>
morgen einen neueren. Rasche Sinne hat er, gleich<lb/>
dem Volke, und veränderliche Witterungen.</p><lb/>
          <p>Umwerfen &#x2014; das heisst ihm: beweisen. Toll<lb/>
machen &#x2014; das heisst ihm: überzeugen. Und Blut gilt<lb/>
ihm als aller Gründe bester.</p><lb/>
          <p>Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft,<lb/>
nennt er Lüge und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur<lb/>
an Götter, die grossen Lärm in der Welt machen!</p><lb/>
          <p>Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt<lb/>
&#x2014; und das Volk rühmt sich seiner grossen Männer!<lb/>
das sind ihm die Herrn der Stunde.</p><lb/>
          <p>Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich:<lb/>
Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du<lb/>
willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen?</p><lb/>
          <p>Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei<lb/>
ohne Eifersucht, du Liebhaber der Wahrheit! Niemals<lb/>
noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Un¬<lb/>
bedingten.</p><lb/>
          <p>Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine<lb/>
Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder<lb/>
Nein? überfallen.</p><lb/>
          <p>Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen:<lb/>
lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre<lb/>
Tiefe fiel.</p><lb/>
          <p>Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0076] Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am stärksten glauben macht, — glauben an sich macht! Morgen hat er einen neuen Glauben und über¬ morgen einen neueren. Rasche Sinne hat er, gleich dem Volke, und veränderliche Witterungen. Umwerfen — das heisst ihm: beweisen. Toll machen — das heisst ihm: überzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gründe bester. Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlüpft, nennt er Lüge und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Götter, die grossen Lärm in der Welt machen! Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt — und das Volk rühmt sich seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde. Aber die Stunde drängt sie: so drängen sie dich: Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Für und Wider deinen Stuhl setzen? Dieser Unbedingten und Drängenden halber sei ohne Eifersucht, du Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch hängte sich die Wahrheit an den Arm eines Un¬ bedingten. Dieser Plötzlichen halber gehe zurück in deine Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder Nein? überfallen. Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange müssen sie warten, bis sie wissen, was in ihre Tiefe fiel. Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/76
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/76>, abgerufen am 20.04.2024.