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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Eine Tugend und nicht mehr: so gehst du leichter
über die Brücke.

Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben,
aber ein schweres Loos; und Mancher gieng in die
Wüste und tödtete sich, weil er müde war, Schlacht
und Schlachtfeld von Tugenden zu sein.

Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber
nothwendig ist diess Böse, nothwendig ist der Neid
und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen
Tugenden.

Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist
nach dem Höchsten: sie will deinen ganzen Geist, dass
er ihr Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn,
Hass und Liebe.

Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und
ein furchtbares Ding ist Eifersucht. Auch Tugenden
können an der Eifersucht zu Grunde gehn.

Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der
wendet zuletzt, gleich dem Scorpione, gegen sich selber
den vergifteten Stachel.

Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend
sich selber verleumden und erstechen?

Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden
muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben, --
denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. --

Also sprach Zarathustra.


Eine Tugend und nicht mehr: so gehst du leichter
über die Brücke.

Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben,
aber ein schweres Loos; und Mancher gieng in die
Wüste und tödtete sich, weil er müde war, Schlacht
und Schlachtfeld von Tugenden zu sein.

Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber
nothwendig ist diess Böse, nothwendig ist der Neid
und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen
Tugenden.

Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist
nach dem Höchsten: sie will deinen ganzen Geist, dass
er ihr Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn,
Hass und Liebe.

Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und
ein furchtbares Ding ist Eifersucht. Auch Tugenden
können an der Eifersucht zu Grunde gehn.

Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der
wendet zuletzt, gleich dem Scorpione, gegen sich selber
den vergifteten Stachel.

Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend
sich selber verleumden und erstechen?

Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden
muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben, —
denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. —

Also sprach Zarathustra.


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[47/0053] Eine Tugend und nicht mehr: so gehst du leichter über die Brücke. Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; und Mancher gieng in die Wüste und tödtete sich, weil er müde war, Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein. Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht böse? Aber nothwendig ist diess Böse, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen Tugenden. Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Höchsten: sie will deinen ganzen Geist, dass er ihr Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe. Eifersüchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding ist Eifersucht. Auch Tugenden können an der Eifersucht zu Grunde gehn. Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden und erstechen? Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben, — denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. — Also sprach Zarathustra.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/53>, abgerufen am 20.04.2024.