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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber,
welcher glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte
sich an sein Werk.


4.

Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte
sich. Dann sprach er also:

Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier
und Übermensch, -- ein Seil über einem Abgrunde.

Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-
dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefähr¬
liches Schaudern und Stehenbleiben.

Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine
Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann
am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und
ein Untergang ist.

Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei
denn als Untergehende, denn es sind die Hinüber¬
gehenden.

Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die
grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht
nach dem andern Ufer.

Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen
einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein:
sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst
des Übermenschen werde.

Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne,
und welcher erkennen will, damit einst der Über¬
mensch lebe. Und so will er seinen Untergang.

Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber,
welcher glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte
sich an sein Werk.


4.

Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte
sich. Dann sprach er also:

Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier
und Übermensch, — ein Seil über einem Abgrunde.

Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-
dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefähr¬
liches Schaudern und Stehenbleiben.

Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine
Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann
am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und
ein Untergang ist.

Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei
denn als Untergehende, denn es sind die Hinüber¬
gehenden.

Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die
grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht
nach dem andern Ufer.

Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen
einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein:
sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst
des Übermenschen werde.

Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne,
und welcher erkennen will, damit einst der Über¬
mensch lebe. Und so will er seinen Untergang.

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[12/0018] Volk lachte über Zarathustra. Der Seiltänzer aber, welcher glaubte, dass das Wort ihm gälte, machte sich an sein Werk. 4. Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also: Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, — ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf- dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefähr¬ liches Schaudern und Stehenbleiben. Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist. Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinüber¬ gehenden. Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst des Übermenschen werde. Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit einst der Über¬ mensch lebe. Und so will er seinen Untergang.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/18>, abgerufen am 29.03.2024.