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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Historischer Gesichtspunkt d. Untersuchung.

In diesem ungewissen Zustande schwankte der
Philanthropinismus mehrere Jahrzehnte hin-
durch, im dunkeln Gefühl seiner Untauglichkeit alle
Formen versuchend, seit der Auferstehung der Philoso-
phie vor dem mächtig vordringenden besseren Geiste
auf der Flucht, und schon auf die letzte Hoffnung ei-
nes Succurses aus der Pestalozzischen Schule beschränkt.
Da erschien er plötzlich in seiner gefährlichsten Gestalt,
auf der Höhe systematischer Vollendung kühn genug,
nicht nur seine Theorie als die allein wahre zu erklä-
ren und zur gesetzlichen Norm zu erheben, sondern zu-
gleich auch die einer günstigeren Zukunft gesetzlich noch
erhaltnen Freistätten der allgemeinen Bil-
dung
, durch Verwandlung in bloße Berufsschu-
len
, für immer zu zerstören.

Durch diesen Angriff aber auf die letzte Schutz-
wehr einer bessern Bildung hat er selbst die allgemeine
Stimme gegen sich aufgerufen, und öffentliche War-
nungstafeln gegen seinen Irrthum auszustellen genöthi-
get. Mit jenem Schritte hat er seinen Kreis nunmehr
durchlaufen und seine Bestimmung -- wiefern ihm eine
solche in der allgemeinen Bildungsgeschichte der Mensch-
heit zuerkannt werden kann -- in so weit erfüllt, als
er in seiner früheren Periode dem Erziehungsunterricht
überhaupt einen neuen Impuls gegeben und umfassen-
dere Ansprüche an denselben zur Sprache gebracht, in
seiner neuesten Gestalt aber gegen seinen eignen Miß-
brauch die allgemeine Aufmerksamkeit aufgerufen und
das Bedürfniß einer gänzlichen Reform seiner Unter-

Hiſtoriſcher Geſichtspunkt d. Unterſuchung.

In dieſem ungewiſſen Zuſtande ſchwankte der
Philanthropinismus mehrere Jahrzehnte hin-
durch, im dunkeln Gefuͤhl ſeiner Untauglichkeit alle
Formen verſuchend, ſeit der Auferſtehung der Philoſo-
phie vor dem maͤchtig vordringenden beſſeren Geiſte
auf der Flucht, und ſchon auf die letzte Hoffnung ei-
nes Succurſes aus der Peſtalozziſchen Schule beſchraͤnkt.
Da erſchien er ploͤtzlich in ſeiner gefaͤhrlichſten Geſtalt,
auf der Hoͤhe ſyſtematiſcher Vollendung kuͤhn genug,
nicht nur ſeine Theorie als die allein wahre zu erklaͤ-
ren und zur geſetzlichen Norm zu erheben, ſondern zu-
gleich auch die einer guͤnſtigeren Zukunft geſetzlich noch
erhaltnen Freiſtaͤtten der allgemeinen Bil-
dung
, durch Verwandlung in bloße Berufsſchu-
len
, fuͤr immer zu zerſtoͤren.

Durch dieſen Angriff aber auf die letzte Schutz-
wehr einer beſſern Bildung hat er ſelbſt die allgemeine
Stimme gegen ſich aufgerufen, und oͤffentliche War-
nungstafeln gegen ſeinen Irrthum auszuſtellen genoͤthi-
get. Mit jenem Schritte hat er ſeinen Kreis nunmehr
durchlaufen und ſeine Beſtimmung — wiefern ihm eine
ſolche in der allgemeinen Bildungsgeſchichte der Menſch-
heit zuerkannt werden kann — in ſo weit erfuͤllt, als
er in ſeiner fruͤheren Periode dem Erziehungsunterricht
uͤberhaupt einen neuen Impuls gegeben und umfaſſen-
dere Anſpruͤche an denſelben zur Sprache gebracht, in
ſeiner neueſten Geſtalt aber gegen ſeinen eignen Miß-
brauch die allgemeine Aufmerkſamkeit aufgerufen und
das Beduͤrfniß einer gaͤnzlichen Reform ſeiner Unter-

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[25/0037] Hiſtoriſcher Geſichtspunkt d. Unterſuchung. In dieſem ungewiſſen Zuſtande ſchwankte der Philanthropinismus mehrere Jahrzehnte hin- durch, im dunkeln Gefuͤhl ſeiner Untauglichkeit alle Formen verſuchend, ſeit der Auferſtehung der Philoſo- phie vor dem maͤchtig vordringenden beſſeren Geiſte auf der Flucht, und ſchon auf die letzte Hoffnung ei- nes Succurſes aus der Peſtalozziſchen Schule beſchraͤnkt. Da erſchien er ploͤtzlich in ſeiner gefaͤhrlichſten Geſtalt, auf der Hoͤhe ſyſtematiſcher Vollendung kuͤhn genug, nicht nur ſeine Theorie als die allein wahre zu erklaͤ- ren und zur geſetzlichen Norm zu erheben, ſondern zu- gleich auch die einer guͤnſtigeren Zukunft geſetzlich noch erhaltnen Freiſtaͤtten der allgemeinen Bil- dung, durch Verwandlung in bloße Berufsſchu- len, fuͤr immer zu zerſtoͤren. Durch dieſen Angriff aber auf die letzte Schutz- wehr einer beſſern Bildung hat er ſelbſt die allgemeine Stimme gegen ſich aufgerufen, und oͤffentliche War- nungstafeln gegen ſeinen Irrthum auszuſtellen genoͤthi- get. Mit jenem Schritte hat er ſeinen Kreis nunmehr durchlaufen und ſeine Beſtimmung — wiefern ihm eine ſolche in der allgemeinen Bildungsgeſchichte der Menſch- heit zuerkannt werden kann — in ſo weit erfuͤllt, als er in ſeiner fruͤheren Periode dem Erziehungsunterricht uͤberhaupt einen neuen Impuls gegeben und umfaſſen- dere Anſpruͤche an denſelben zur Sprache gebracht, in ſeiner neueſten Geſtalt aber gegen ſeinen eignen Miß- brauch die allgemeine Aufmerkſamkeit aufgerufen und das Beduͤrfniß einer gaͤnzlichen Reform ſeiner Unter-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/37>, abgerufen am 23.04.2024.