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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Erster Abschnitt.
wordnen Namens, nicht nur in eignen Instituten wirklich
fortdauern, sondern auch in öffentliche und Privat-Erzie-
hungsanstalten mehr und mehr übergehen, und selbst in
der pädagogischen Schriftstellerei -- von dem bänderei-
chen Revisionswerk an bis auf die kindischste der zahllo-
sen seitdem emanirten Kinderschriften herab -- herrschen.

Denselben Gang, den die teutsche Cultur überhaupt
von dem Reiche des großen teutschen Königes aus zu den
andern Staaten unsers Vaterlandes nahm, sieht man
auch den Philanthropinismus nehmen; und es verdient
als eine merkwürdige Erscheinung ausgehoben zu wer-
den, daß jene moderne Erziehungsweise von den Regie-
rungen in dem Maße mehr begünstiget wurde, in wel-
chem sie dem Beispiel des großen Vorbildes getreu,
auch die sogenannte Landes-Cultur, nämlich Ackerbau,
Gewerb- und Kunstfleiß aller Art, vorzugsweise be-
günstigten.

Inzwischen blieben doch überall die öffentlichen
Unterrichtsanstalten gesetzlich in der alten Form und
Verfassung. Man erkannte zwar die alte Methode von
Tag zu Tag mehr als unbefriedigend, je dringender
das Bedürfniß mechanischer und technischer Fertigkeiten
zum Behuf des wachsenden Gewerbumtriebes wurde;
und als man endlich in diesem Treiben und Drängen
die eigentliche Bestimmung der Schule ganz vergaß,
und sich zu der Höhe des Princips, sie als bloße Vor-
schule zur künftigen bürgerlichen und Berufs-Bestim-
mung zu erklären, erhoben hatte, mußte die Zweckwi-

Erſter Abſchnitt.
wordnen Namens, nicht nur in eignen Inſtituten wirklich
fortdauern, ſondern auch in oͤffentliche und Privat-Erzie-
hungsanſtalten mehr und mehr uͤbergehen, und ſelbſt in
der paͤdagogiſchen Schriftſtellerei — von dem baͤnderei-
chen Reviſionswerk an bis auf die kindiſchſte der zahllo-
ſen ſeitdem emanirten Kinderſchriften herab — herrſchen.

Denſelben Gang, den die teutſche Cultur uͤberhaupt
von dem Reiche des großen teutſchen Koͤniges aus zu den
andern Staaten unſers Vaterlandes nahm, ſieht man
auch den Philanthropinismus nehmen; und es verdient
als eine merkwuͤrdige Erſcheinung ausgehoben zu wer-
den, daß jene moderne Erziehungsweiſe von den Regie-
rungen in dem Maße mehr beguͤnſtiget wurde, in wel-
chem ſie dem Beiſpiel des großen Vorbildes getreu,
auch die ſogenannte Landes-Cultur, naͤmlich Ackerbau,
Gewerb- und Kunſtfleiß aller Art, vorzugsweiſe be-
guͤnſtigten.

Inzwiſchen blieben doch uͤberall die oͤffentlichen
Unterrichtsanſtalten geſetzlich in der alten Form und
Verfaſſung. Man erkannte zwar die alte Methode von
Tag zu Tag mehr als unbefriedigend, je dringender
das Beduͤrfniß mechaniſcher und techniſcher Fertigkeiten
zum Behuf des wachſenden Gewerbumtriebes wurde;
und als man endlich in dieſem Treiben und Draͤngen
die eigentliche Beſtimmung der Schule ganz vergaß,
und ſich zu der Hoͤhe des Princips, ſie als bloße Vor-
ſchule zur kuͤnftigen buͤrgerlichen und Berufs-Beſtim-
mung zu erklaͤren, erhoben hatte, mußte die Zweckwi-

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[22/0034] Erſter Abſchnitt. wordnen Namens, nicht nur in eignen Inſtituten wirklich fortdauern, ſondern auch in oͤffentliche und Privat-Erzie- hungsanſtalten mehr und mehr uͤbergehen, und ſelbſt in der paͤdagogiſchen Schriftſtellerei — von dem baͤnderei- chen Reviſionswerk an bis auf die kindiſchſte der zahllo- ſen ſeitdem emanirten Kinderſchriften herab — herrſchen. Denſelben Gang, den die teutſche Cultur uͤberhaupt von dem Reiche des großen teutſchen Koͤniges aus zu den andern Staaten unſers Vaterlandes nahm, ſieht man auch den Philanthropinismus nehmen; und es verdient als eine merkwuͤrdige Erſcheinung ausgehoben zu wer- den, daß jene moderne Erziehungsweiſe von den Regie- rungen in dem Maße mehr beguͤnſtiget wurde, in wel- chem ſie dem Beiſpiel des großen Vorbildes getreu, auch die ſogenannte Landes-Cultur, naͤmlich Ackerbau, Gewerb- und Kunſtfleiß aller Art, vorzugsweiſe be- guͤnſtigten. Inzwiſchen blieben doch uͤberall die oͤffentlichen Unterrichtsanſtalten geſetzlich in der alten Form und Verfaſſung. Man erkannte zwar die alte Methode von Tag zu Tag mehr als unbefriedigend, je dringender das Beduͤrfniß mechaniſcher und techniſcher Fertigkeiten zum Behuf des wachſenden Gewerbumtriebes wurde; und als man endlich in dieſem Treiben und Draͤngen die eigentliche Beſtimmung der Schule ganz vergaß, und ſich zu der Hoͤhe des Princips, ſie als bloße Vor- ſchule zur kuͤnftigen buͤrgerlichen und Berufs-Beſtim- mung zu erklaͤren, erhoben hatte, mußte die Zweckwi-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/34>, abgerufen am 24.04.2024.