Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



ihn in dieser großen Stadt zurecht weise, zumahl da
er der Sprache noch nicht gänzlich kundig sey.

,Ach ja, ehrwürdiger Herr, sagte sein Begleiter,
"es ist mir Jhretwegen selbst lieb, daß ich mich von
"ohngefehr am Thore befunden. Sie können gar
"nicht glauben, ehrwürdiger Herr, wie gefährlich es
"in dieser Stadt ist. Jnsonderheit giebt es böse Leute
"die man Seelenverkäufer nennet, welche die uner-
"fahrnen Fremden, besonders Deutsche, mit List in
"ihre Häuser locken, um sie nach Ostindien, in ein un-
"beschreibliches Elend, zu verkauffen.'

Sebaldus erstaunte daß es so boshafte Menschen
geben könne. Jndem schrie sie ein gemeines Weib
auf holländisch heftig an: ,Sieh den verdammten
"Seelhund, da hat er wieder eine Seele!'

,Kommen Sie geschwind,' raunte ihm sein Be-
gleiter ins Ohr, ,dieß ist eine Kreatur der Seelen-
"verkäufer, welche mit uns Zank anfangen will, da-
"mit Sie im Tumulte den Seelenverkäufern in die
"Hände fallen.'

Sie verdoppelten also ihre Schritte, um diesem
Unglücke zu entgehen, und kamen endlich an das
Haus, wo die Herberge seyn sollte. Sie giengen ei-
lig hinein. Die Thür ward hinter ihnen zugeschlos-
sen. Wie erschrack aber Sebaldus, als ihn sein

Beglei-



ihn in dieſer großen Stadt zurecht weiſe, zumahl da
er der Sprache noch nicht gaͤnzlich kundig ſey.

‚Ach ja, ehrwuͤrdiger Herr, ſagte ſein Begleiter,
„es iſt mir Jhretwegen ſelbſt lieb, daß ich mich von
„ohngefehr am Thore befunden. Sie koͤnnen gar
„nicht glauben, ehrwuͤrdiger Herr, wie gefaͤhrlich es
„in dieſer Stadt iſt. Jnſonderheit giebt es boͤſe Leute
„die man Seelenverkaͤufer nennet, welche die uner-
„fahrnen Fremden, beſonders Deutſche, mit Liſt in
„ihre Haͤuſer locken, um ſie nach Oſtindien, in ein un-
„beſchreibliches Elend, zu verkauffen.‛

Sebaldus erſtaunte daß es ſo boshafte Menſchen
geben koͤnne. Jndem ſchrie ſie ein gemeines Weib
auf hollaͤndiſch heftig an: ‚Sieh den verdammten
„Seelhund, da hat er wieder eine Seele!‛

‚Kommen Sie geſchwind,‛ raunte ihm ſein Be-
gleiter ins Ohr, ‚dieß iſt eine Kreatur der Seelen-
„verkaͤufer, welche mit uns Zank anfangen will, da-
„mit Sie im Tumulte den Seelenverkaͤufern in die
„Haͤnde fallen.‛

Sie verdoppelten alſo ihre Schritte, um dieſem
Ungluͤcke zu entgehen, und kamen endlich an das
Haus, wo die Herberge ſeyn ſollte. Sie giengen ei-
lig hinein. Die Thuͤr ward hinter ihnen zugeſchloſ-
ſen. Wie erſchrack aber Sebaldus, als ihn ſein

Beglei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="38[37]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ihn in die&#x017F;er großen Stadt zurecht wei&#x017F;e, zumahl da<lb/>
er der Sprache noch nicht ga&#x0364;nzlich kundig &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>&#x201A;Ach ja, ehrwu&#x0364;rdiger Herr, &#x017F;agte &#x017F;ein Begleiter,<lb/>
&#x201E;es i&#x017F;t mir Jhretwegen &#x017F;elb&#x017F;t lieb, daß ich mich von<lb/>
&#x201E;ohngefehr am Thore befunden. Sie ko&#x0364;nnen gar<lb/>
&#x201E;nicht glauben, ehrwu&#x0364;rdiger Herr, wie gefa&#x0364;hrlich es<lb/>
&#x201E;in die&#x017F;er Stadt i&#x017F;t. Jn&#x017F;onderheit giebt es bo&#x0364;&#x017F;e Leute<lb/>
&#x201E;die man <hi rendition="#fr">Seelenverka&#x0364;ufer</hi> nennet, welche die uner-<lb/>
&#x201E;fahrnen Fremden, be&#x017F;onders Deut&#x017F;che, mit Li&#x017F;t in<lb/>
&#x201E;ihre Ha&#x0364;u&#x017F;er locken, um &#x017F;ie nach O&#x017F;tindien, in ein un-<lb/>
&#x201E;be&#x017F;chreibliches Elend, zu verkauffen.&#x201B;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> er&#x017F;taunte daß es &#x017F;o boshafte Men&#x017F;chen<lb/>
geben ko&#x0364;nne. Jndem &#x017F;chrie &#x017F;ie ein gemeines Weib<lb/>
auf holla&#x0364;ndi&#x017F;ch heftig an: &#x201A;Sieh den verdammten<lb/>
&#x201E;Seelhund, da hat er wieder eine Seele!&#x201B;</p><lb/>
          <p>&#x201A;Kommen Sie ge&#x017F;chwind,&#x201B; raunte ihm &#x017F;ein Be-<lb/>
gleiter ins Ohr, &#x201A;dieß i&#x017F;t eine Kreatur der Seelen-<lb/>
&#x201E;verka&#x0364;ufer, welche mit uns Zank anfangen will, da-<lb/>
&#x201E;mit Sie im Tumulte den Seelenverka&#x0364;ufern in die<lb/>
&#x201E;Ha&#x0364;nde fallen.&#x201B;</p><lb/>
          <p>Sie verdoppelten al&#x017F;o ihre Schritte, um die&#x017F;em<lb/>
Unglu&#x0364;cke zu entgehen, und kamen endlich an das<lb/>
Haus, wo die Herberge &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Sie giengen ei-<lb/>
lig hinein. Die Thu&#x0364;r ward hinter ihnen zuge&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Wie er&#x017F;chrack aber <hi rendition="#fr">Sebaldus,</hi> als ihn &#x017F;ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Beglei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38[37]/0046] ihn in dieſer großen Stadt zurecht weiſe, zumahl da er der Sprache noch nicht gaͤnzlich kundig ſey. ‚Ach ja, ehrwuͤrdiger Herr, ſagte ſein Begleiter, „es iſt mir Jhretwegen ſelbſt lieb, daß ich mich von „ohngefehr am Thore befunden. Sie koͤnnen gar „nicht glauben, ehrwuͤrdiger Herr, wie gefaͤhrlich es „in dieſer Stadt iſt. Jnſonderheit giebt es boͤſe Leute „die man Seelenverkaͤufer nennet, welche die uner- „fahrnen Fremden, beſonders Deutſche, mit Liſt in „ihre Haͤuſer locken, um ſie nach Oſtindien, in ein un- „beſchreibliches Elend, zu verkauffen.‛ Sebaldus erſtaunte daß es ſo boshafte Menſchen geben koͤnne. Jndem ſchrie ſie ein gemeines Weib auf hollaͤndiſch heftig an: ‚Sieh den verdammten „Seelhund, da hat er wieder eine Seele!‛ ‚Kommen Sie geſchwind,‛ raunte ihm ſein Be- gleiter ins Ohr, ‚dieß iſt eine Kreatur der Seelen- „verkaͤufer, welche mit uns Zank anfangen will, da- „mit Sie im Tumulte den Seelenverkaͤufern in die „Haͤnde fallen.‛ Sie verdoppelten alſo ihre Schritte, um dieſem Ungluͤcke zu entgehen, und kamen endlich an das Haus, wo die Herberge ſeyn ſollte. Sie giengen ei- lig hinein. Die Thuͤr ward hinter ihnen zugeſchloſ- ſen. Wie erſchrack aber Sebaldus, als ihn ſein Beglei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/46
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 38[37]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/46>, abgerufen am 18.04.2024.