Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



vierzig Schritte davon entferntes großes wohlgebau-
tes Haus, und gieng, nachdem es geöffnet wor-
den, hinein.

Sebaldus stand noch an der Ecke, mit dem
Ueberrocke auf dem Arme, und nachdem er denselben
angezogen hatte, befand er sich an einem sehr heißen
Nachmittage nichts besser. Er gieng voller Gedan-
ken die Straße wieder herunter, die er gekommen
war, und da er wieder an die Kirche kam, so trat
er, weil er nichts bessers zu thun wußte, hinein.

Er fand die Kirche wider Vermuthen so gestopft
voll, daß es ihm einige Mühe kostete, sich so weit
durchzudrängen, daß er den Prediger deutlich verste-
hen konnte. Dieß war ein junger Kandidat, der
mit zierlichem Anstande, eine erbauliche Rede von
der wahren christlichen Liebe,
beynahe zu Ende ge-
bracht hatte, und itzt eben bey der Nutzanwendung
war. Das Herz des guten Sebaldus erweiterte sich
wieder, da er die vielen schönen Lehren des Pre-
digers, und die Aufmerksamkeit der zahlreichen
Zuhörer betrachtete; und die finstere Vorstellung
von Berlin, welche seines Reisegefährten Bericht
bey ihm verursacht hatte, fieng an, etwas aufgehei-
rerter zu werden.

Vier-
C 2



vierzig Schritte davon entferntes großes wohlgebau-
tes Haus, und gieng, nachdem es geoͤffnet wor-
den, hinein.

Sebaldus ſtand noch an der Ecke, mit dem
Ueberrocke auf dem Arme, und nachdem er denſelben
angezogen hatte, befand er ſich an einem ſehr heißen
Nachmittage nichts beſſer. Er gieng voller Gedan-
ken die Straße wieder herunter, die er gekommen
war, und da er wieder an die Kirche kam, ſo trat
er, weil er nichts beſſers zu thun wußte, hinein.

Er fand die Kirche wider Vermuthen ſo geſtopft
voll, daß es ihm einige Muͤhe koſtete, ſich ſo weit
durchzudraͤngen, daß er den Prediger deutlich verſte-
hen konnte. Dieß war ein junger Kandidat, der
mit zierlichem Anſtande, eine erbauliche Rede von
der wahren chriſtlichen Liebe,
beynahe zu Ende ge-
bracht hatte, und itzt eben bey der Nutzanwendung
war. Das Herz des guten Sebaldus erweiterte ſich
wieder, da er die vielen ſchoͤnen Lehren des Pre-
digers, und die Aufmerkſamkeit der zahlreichen
Zuhoͤrer betrachtete; und die finſtere Vorſtellung
von Berlin, welche ſeines Reiſegefaͤhrten Bericht
bey ihm verurſacht hatte, fieng an, etwas aufgehei-
rerter zu werden.

Vier-
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="31"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
vierzig Schritte davon entferntes großes wohlgebau-<lb/>
tes Haus, und gieng, nachdem es geo&#x0364;ffnet wor-<lb/>
den, hinein.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> &#x017F;tand noch an der Ecke, mit dem<lb/>
Ueberrocke auf dem Arme, und nachdem er den&#x017F;elben<lb/>
angezogen hatte, befand er &#x017F;ich an einem &#x017F;ehr heißen<lb/>
Nachmittage nichts be&#x017F;&#x017F;er. Er gieng voller Gedan-<lb/>
ken die Straße wieder herunter, die er gekommen<lb/>
war, und da er wieder an die Kirche kam, &#x017F;o trat<lb/>
er, weil er nichts be&#x017F;&#x017F;ers zu thun wußte, hinein.</p><lb/>
          <p>Er fand die Kirche wider Vermuthen &#x017F;o ge&#x017F;topft<lb/>
voll, daß es ihm einige Mu&#x0364;he ko&#x017F;tete, &#x017F;ich &#x017F;o weit<lb/>
durchzudra&#x0364;ngen, daß er den Prediger deutlich ver&#x017F;te-<lb/>
hen konnte. Dieß war ein junger Kandidat, der<lb/>
mit zierlichem An&#x017F;tande, eine erbauliche Rede <hi rendition="#fr">von<lb/>
der wahren chri&#x017F;tlichen Liebe,</hi> beynahe zu Ende ge-<lb/>
bracht hatte, und itzt eben bey der <hi rendition="#fr">Nutzanwendung</hi><lb/>
war. Das Herz des guten <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> erweiterte &#x017F;ich<lb/>
wieder, da er die vielen &#x017F;cho&#x0364;nen Lehren des Pre-<lb/>
digers, und die Aufmerk&#x017F;amkeit der zahlreichen<lb/>
Zuho&#x0364;rer betrachtete; und die fin&#x017F;tere Vor&#x017F;tellung<lb/>
von Berlin, welche &#x017F;eines Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten Bericht<lb/>
bey ihm verur&#x017F;acht hatte, fieng an, etwas aufgehei-<lb/>
rerter zu werden.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">C 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Vier-</hi> </hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0037] vierzig Schritte davon entferntes großes wohlgebau- tes Haus, und gieng, nachdem es geoͤffnet wor- den, hinein. Sebaldus ſtand noch an der Ecke, mit dem Ueberrocke auf dem Arme, und nachdem er denſelben angezogen hatte, befand er ſich an einem ſehr heißen Nachmittage nichts beſſer. Er gieng voller Gedan- ken die Straße wieder herunter, die er gekommen war, und da er wieder an die Kirche kam, ſo trat er, weil er nichts beſſers zu thun wußte, hinein. Er fand die Kirche wider Vermuthen ſo geſtopft voll, daß es ihm einige Muͤhe koſtete, ſich ſo weit durchzudraͤngen, daß er den Prediger deutlich verſte- hen konnte. Dieß war ein junger Kandidat, der mit zierlichem Anſtande, eine erbauliche Rede von der wahren chriſtlichen Liebe, beynahe zu Ende ge- bracht hatte, und itzt eben bey der Nutzanwendung war. Das Herz des guten Sebaldus erweiterte ſich wieder, da er die vielen ſchoͤnen Lehren des Pre- digers, und die Aufmerkſamkeit der zahlreichen Zuhoͤrer betrachtete; und die finſtere Vorſtellung von Berlin, welche ſeines Reiſegefaͤhrten Bericht bey ihm verurſacht hatte, fieng an, etwas aufgehei- rerter zu werden. Vier- C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/37
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/37>, abgerufen am 25.04.2024.