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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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gegen war unter den Händen der Ränber todtenblaß,
zitterte, und bezeigte sich sehr ungeberdig. Er wälzte
sich auf die Erde, suchte seine Uhr zu verbergen, em-
pfieng aber darüber verschiedne Stöße und Schläge.
Seine Taschen wurden demungeachtet sämtlich aus-
geleeret. Man nahm ihm auch sein neues feines
Kleid, und den einen Räuber gelüstete endlich nach
seinen ganz neuen Stiefeln. Er mußte, alles Wei-
gerns ungeachtet, sich auf die Erde setzen, um sie aus-
zuziehen: da aber einer noch nicht völlig ausgezogen
war, entstand ein Geräusch im Busche, und ein Hund
schlug an. Hierüber wurden die Räuber flüchtig. --
Der Pietist sprang auf, und schrie aus Leibeskräf-
ten: ,Halt Diebe! halt Diebe!' Als aber niemand
kam, so setzte er sich, mit dem Stiefel in der Hand,
abermals unter einen Baum, um recht herzlich auf
die Bösewichter zu fluchen, die die Straßen berau-
ben.*)

Zuletzt
*) Er soll, wie verschiedne Nachrichten bezeugen, den from-
men Wunsch hinzugethan haben, daß ihnen, wenn das
eiskalte Fieber ihre Glieder zerrütte, weder bittre Essenz
noch Kirchengebet helfen möchten,
welchen Wunsch der
Verfasser des Gedichts Wilhelmine, der, nach Art der Dich-
ter, wegen der genauen Bestimmung der Zeiten und Per-
sonen, wohl die ungedruckten Urkunden nicht eben mag
nachgeschagen haben, dem Sebaldus beylegt. (S. Wil-
belmine S. 79.) Es ist aber seht unwahrscheinlich, daß
Sebaldus einen solchen Wunsch sollte gethan haben, da
aus
B 2



gegen war unter den Haͤnden der Raͤnber todtenblaß,
zitterte, und bezeigte ſich ſehr ungeberdig. Er waͤlzte
ſich auf die Erde, ſuchte ſeine Uhr zu verbergen, em-
pfieng aber daruͤber verſchiedne Stoͤße und Schlaͤge.
Seine Taſchen wurden demungeachtet ſaͤmtlich aus-
geleeret. Man nahm ihm auch ſein neues feines
Kleid, und den einen Raͤuber geluͤſtete endlich nach
ſeinen ganz neuen Stiefeln. Er mußte, alles Wei-
gerns ungeachtet, ſich auf die Erde ſetzen, um ſie aus-
zuziehen: da aber einer noch nicht voͤllig ausgezogen
war, entſtand ein Geraͤuſch im Buſche, und ein Hund
ſchlug an. Hieruͤber wurden die Raͤuber fluͤchtig. —
Der Pietiſt ſprang auf, und ſchrie aus Leibeskraͤf-
ten: ‚Halt Diebe! halt Diebe!‛ Als aber niemand
kam, ſo ſetzte er ſich, mit dem Stiefel in der Hand,
abermals unter einen Baum, um recht herzlich auf
die Boͤſewichter zu fluchen, die die Straßen berau-
ben.*)

Zuletzt
*) Er ſoll, wie verſchiedne Nachrichten bezeugen, den from-
men Wunſch hinzugethan haben, daß ihnen, wenn das
eiskalte Fieber ihre Glieder zerruͤtte, weder bittre Eſſenz
noch Kirchengebet helfen moͤchten,
welchen Wunſch der
Verfaſſer des Gedichts Wilhelmine, der, nach Art der Dich-
ter, wegen der genauen Beſtimmung der Zeiten und Per-
ſonen, wohl die ungedruckten Urkunden nicht eben mag
nachgeſchagen haben, dem Sebaldus beylegt. (S. Wil-
belmine S. 79.) Es iſt aber ſeht unwahrſcheinlich, daß
Sebaldus einen ſolchen Wunſch ſollte gethan haben, da
aus
B 2
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[15/0019] gegen war unter den Haͤnden der Raͤnber todtenblaß, zitterte, und bezeigte ſich ſehr ungeberdig. Er waͤlzte ſich auf die Erde, ſuchte ſeine Uhr zu verbergen, em- pfieng aber daruͤber verſchiedne Stoͤße und Schlaͤge. Seine Taſchen wurden demungeachtet ſaͤmtlich aus- geleeret. Man nahm ihm auch ſein neues feines Kleid, und den einen Raͤuber geluͤſtete endlich nach ſeinen ganz neuen Stiefeln. Er mußte, alles Wei- gerns ungeachtet, ſich auf die Erde ſetzen, um ſie aus- zuziehen: da aber einer noch nicht voͤllig ausgezogen war, entſtand ein Geraͤuſch im Buſche, und ein Hund ſchlug an. Hieruͤber wurden die Raͤuber fluͤchtig. — Der Pietiſt ſprang auf, und ſchrie aus Leibeskraͤf- ten: ‚Halt Diebe! halt Diebe!‛ Als aber niemand kam, ſo ſetzte er ſich, mit dem Stiefel in der Hand, abermals unter einen Baum, um recht herzlich auf die Boͤſewichter zu fluchen, die die Straßen berau- ben. *) Zuletzt *) Er ſoll, wie verſchiedne Nachrichten bezeugen, den from- men Wunſch hinzugethan haben, daß ihnen, wenn das eiskalte Fieber ihre Glieder zerruͤtte, weder bittre Eſſenz noch Kirchengebet helfen moͤchten, welchen Wunſch der Verfaſſer des Gedichts Wilhelmine, der, nach Art der Dich- ter, wegen der genauen Beſtimmung der Zeiten und Per- ſonen, wohl die ungedruckten Urkunden nicht eben mag nachgeſchagen haben, dem Sebaldus beylegt. (S. Wil- belmine S. 79.) Es iſt aber ſeht unwahrſcheinlich, daß Sebaldus einen ſolchen Wunſch ſollte gethan haben, da aus B 2

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/19>, abgerufen am 19.04.2024.