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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

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steife Kerle waren, so siel das Erperiment so un-
glücklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfüber
neben dem Glöckner ins Wasser stürzte und auf
der Stelle ersoff. Das war im Angesicht von
mehr als hundert Menschen geschehen, deren Kei-
ner einen Finger rührte, das neue Unglück zu
verhüten oder wieder gut zu machen.

Nun ließ mich's noch weniger ruhen, als
vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das
Gedränge, das jetzt noch dichter zusammengeströmt
war. "Lieben Leute," rief ich -- "jetzt endlich
werdet ihr doch in euch gegangen seyn und euch
schämen, daß solch ein Skandal vor euren sicht-
lichen Augen hat geschehen können? -- Kommt!
helft! Laßt uns wieder gut machen, so viel noch
möglich ist!" -- Waren sie mir aber vorher schon,
sobald sie mich erblickten, ausgewichen, so wollte
mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da
konnt' ich mir denn freilich nicht anders helfen
und las ihnen eine Epistel, die von den derbsten
war. "Wie?" rief ich -- "Seyd ihr Menschen?
seyd ihr Christen? Seyd ihr wohl werth, daß
Gott seine Sonne über euch aufgehen läßt? Bei
Heiden und Türken und in Landern, die nichts
von Gott und Jesu Christo wissen, hilft und ret-
tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib
und Leben gilt!"

Drauf griff ich einen Schönfärber an, der
mir eben in den Wurf kam. -- "Was meynst
du? Wenn du oder ich dort lägen, wo diese

ſteife Kerle waren, ſo ſiel das Erperiment ſo un-
gluͤcklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfuͤber
neben dem Gloͤckner ins Waſſer ſtuͤrzte und auf
der Stelle erſoff. Das war im Angeſicht von
mehr als hundert Menſchen geſchehen, deren Kei-
ner einen Finger ruͤhrte, das neue Ungluͤck zu
verhuͤten oder wieder gut zu machen.

Nun ließ mich’s noch weniger ruhen, als
vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das
Gedraͤnge, das jetzt noch dichter zuſammengeſtroͤmt
war. „Lieben Leute,‟ rief ich — „jetzt endlich
werdet ihr doch in euch gegangen ſeyn und euch
ſchaͤmen, daß ſolch ein Skandal vor euren ſicht-
lichen Augen hat geſchehen koͤnnen? — Kommt!
helft! Laßt uns wieder gut machen, ſo viel noch
moͤglich iſt!‟ — Waren ſie mir aber vorher ſchon,
ſobald ſie mich erblickten, ausgewichen, ſo wollte
mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da
konnt’ ich mir denn freilich nicht anders helfen
und las ihnen eine Epiſtel, die von den derbſten
war. „Wie?‟ rief ich — „Seyd ihr Menſchen?
ſeyd ihr Chriſten? Seyd ihr wohl werth, daß
Gott ſeine Sonne uͤber euch aufgehen laͤßt? Bei
Heiden und Tuͤrken und in Landern, die nichts
von Gott und Jeſu Chriſto wiſſen, hilft und ret-
tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib
und Leben gilt!‟

Drauf griff ich einen Schoͤnfaͤrber an, der
mir eben in den Wurf kam. — „Was meynſt
du? Wenn du oder ich dort laͤgen, wo dieſe

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[16/0032] ſteife Kerle waren, ſo ſiel das Erperiment ſo un- gluͤcklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfuͤber neben dem Gloͤckner ins Waſſer ſtuͤrzte und auf der Stelle erſoff. Das war im Angeſicht von mehr als hundert Menſchen geſchehen, deren Kei- ner einen Finger ruͤhrte, das neue Ungluͤck zu verhuͤten oder wieder gut zu machen. Nun ließ mich’s noch weniger ruhen, als vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das Gedraͤnge, das jetzt noch dichter zuſammengeſtroͤmt war. „Lieben Leute,‟ rief ich — „jetzt endlich werdet ihr doch in euch gegangen ſeyn und euch ſchaͤmen, daß ſolch ein Skandal vor euren ſicht- lichen Augen hat geſchehen koͤnnen? — Kommt! helft! Laßt uns wieder gut machen, ſo viel noch moͤglich iſt!‟ — Waren ſie mir aber vorher ſchon, ſobald ſie mich erblickten, ausgewichen, ſo wollte mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da konnt’ ich mir denn freilich nicht anders helfen und las ihnen eine Epiſtel, die von den derbſten war. „Wie?‟ rief ich — „Seyd ihr Menſchen? ſeyd ihr Chriſten? Seyd ihr wohl werth, daß Gott ſeine Sonne uͤber euch aufgehen laͤßt? Bei Heiden und Tuͤrken und in Landern, die nichts von Gott und Jeſu Chriſto wiſſen, hilft und ret- tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib und Leben gilt!‟ Drauf griff ich einen Schoͤnfaͤrber an, der mir eben in den Wurf kam. — „Was meynſt du? Wenn du oder ich dort laͤgen, wo dieſe

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/32>, abgerufen am 29.03.2024.