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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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Untrüglichkeit der Kunst war, in so fern er
sich darauf einließ, und mir wurde glaub-
haft, daß er durch das unermüdete Stu-
dium seiner Schurkengallerie zu einer Fer-
tigkeit gelangt sey, die Originale von Bü-
berey und Boßheit so schnell und richtig von
den unschuldigen Schlachtopfern der Justiz
zu unterscheiden, wie ein Kenner in einer
Bildersammlung Originalgemälde von Nach-
bildungen, die ein minderkundiges Auge trü-
gen. Es war mir, als fühlt ich, daß
sich ein neidisches Mißbehagen in meinem
Herzen regte über die mächtige Ueberlegen-
heit des Spörtlerischen Gefühlssinnes, wenn
ich meinen eignen damit in Vergleichung
stellte. Gott weiß was ich würde vorge-
bracht haben, wenn ich den Malefikanten
das physiognomische Urtheil hätte sprechen
sollen. Sonder Zweifel würde mirs nicht
besser ergangen seyn als dem Junker Theo-
dor beym ersten physiognomischen Krimina-

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Untruͤglichkeit der Kunſt war, in ſo fern er
ſich darauf einließ, und mir wurde glaub-
haft, daß er durch das unermuͤdete Stu-
dium ſeiner Schurkengallerie zu einer Fer-
tigkeit gelangt ſey, die Originale von Buͤ-
berey und Boßheit ſo ſchnell und richtig von
den unſchuldigen Schlachtopfern der Juſtiz
zu unterſcheiden, wie ein Kenner in einer
Bilderſammlung Originalgemaͤlde von Nach-
bildungen, die ein minderkundiges Auge truͤ-
gen. Es war mir, als fuͤhlt ich, daß
ſich ein neidiſches Mißbehagen in meinem
Herzen regte uͤber die maͤchtige Ueberlegen-
heit des Spoͤrtleriſchen Gefuͤhlsſinnes, wenn
ich meinen eignen damit in Vergleichung
ſtellte. Gott weiß was ich wuͤrde vorge-
bracht haben, wenn ich den Malefikanten
das phyſiognomiſche Urtheil haͤtte ſprechen
ſollen. Sonder Zweifel wuͤrde mirs nicht
beſſer ergangen ſeyn als dem Junker Theo-
dor beym erſten phyſiognomiſchen Krimina-

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[40/0048] Untruͤglichkeit der Kunſt war, in ſo fern er ſich darauf einließ, und mir wurde glaub- haft, daß er durch das unermuͤdete Stu- dium ſeiner Schurkengallerie zu einer Fer- tigkeit gelangt ſey, die Originale von Buͤ- berey und Boßheit ſo ſchnell und richtig von den unſchuldigen Schlachtopfern der Juſtiz zu unterſcheiden, wie ein Kenner in einer Bilderſammlung Originalgemaͤlde von Nach- bildungen, die ein minderkundiges Auge truͤ- gen. Es war mir, als fuͤhlt ich, daß ſich ein neidiſches Mißbehagen in meinem Herzen regte uͤber die maͤchtige Ueberlegen- heit des Spoͤrtleriſchen Gefuͤhlsſinnes, wenn ich meinen eignen damit in Vergleichung ſtellte. Gott weiß was ich wuͤrde vorge- bracht haben, wenn ich den Malefikanten das phyſiognomiſche Urtheil haͤtte ſprechen ſollen. Sonder Zweifel wuͤrde mirs nicht beſſer ergangen ſeyn als dem Junker Theo- dor beym erſten phyſiognomiſchen Krimina- liſten

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/48>, abgerufen am 29.03.2024.