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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Jch habe mich fast jedesmahl sorgfältig auf dasjenige
zubereitet, was ich ihm vortragen wollte, weil ich
nicht glaubte, daß es mir erlaubt wäre, ihm das erste
das beste zu sagen, was mir etwa einfallen wollte.
Jch habe alles vorher durchgedacht und aufgeschrieben,
und weiß also gewiß, was ich gesagt habe. So bald
ich von ihm zurückkam, habe ich in meinem Tagebuch
seine Aeußerungen nachgetragen, und, wenn ich gleich
manches vergessen haben kann, so bin ich doch über-
zeugt, daß er selbst redet, wo ich ihn reden lasse, und
so viel es möglich ist, mit seinen eigenen Worten.

Jch berichte zuweilen auch Kleinigkeiten. Aber
nachdenkende Leser finden oft durch die kleinsten Züge
den Character der Person, von der die Rede ist, ins
Licht gestellt, und dann sind es keine Kleinigkeiten
mehr. Zuweilen rede ich selbst mehr, als es scheint,
daß ich hätte reden sollen: aber ich muß ja die Bahn
genau bezeichnen, die ich mit ihm gegangen bin, ich
muß zeigen, welche Vorstellungarten der Wahrheit
am meisten auf ihn gewürkt haben. Oft wird der Leser
merkliche Lücken finden, er wird nicht begreifen, wie
der Mann so schnell und ohne daß die Ursachen davon
genau angegeben sind, zur Erkenntniß und Ueberzeu-
gung von dieser oder jener Wahrheit gekommen ist.
Man muß aber nicht vergessen, daß er in meiner Ab-
wesenheit beständig und mit vielem Nachdenken gelesen
hat, daß ich ihn durch die Bücher, die ich ihm gab,
und die auch in der Erzählung angezeigt sind, von Zeit
zu Zeit auf das Nachfolgende vorbereitet habe, und
daß durch diese Bücher in einem Monate mehr Licht in
seine Seele gebracht ist, als bloße Unterredungen in
einem Jahre über sie hätte verbreiten können. Gegen
das Ende meiner Erzählung lasse ich ihn am meisten

reden.
)( 3



Jch habe mich faſt jedesmahl ſorgfaͤltig auf dasjenige
zubereitet, was ich ihm vortragen wollte, weil ich
nicht glaubte, daß es mir erlaubt waͤre, ihm das erſte
das beſte zu ſagen, was mir etwa einfallen wollte.
Jch habe alles vorher durchgedacht und aufgeſchrieben,
und weiß alſo gewiß, was ich geſagt habe. So bald
ich von ihm zuruͤckkam, habe ich in meinem Tagebuch
ſeine Aeußerungen nachgetragen, und, wenn ich gleich
manches vergeſſen haben kann, ſo bin ich doch uͤber-
zeugt, daß er ſelbſt redet, wo ich ihn reden laſſe, und
ſo viel es moͤglich iſt, mit ſeinen eigenen Worten.

Jch berichte zuweilen auch Kleinigkeiten. Aber
nachdenkende Leſer finden oft durch die kleinſten Zuͤge
den Character der Perſon, von der die Rede iſt, ins
Licht geſtellt, und dann ſind es keine Kleinigkeiten
mehr. Zuweilen rede ich ſelbſt mehr, als es ſcheint,
daß ich haͤtte reden ſollen: aber ich muß ja die Bahn
genau bezeichnen, die ich mit ihm gegangen bin, ich
muß zeigen, welche Vorſtellungarten der Wahrheit
am meiſten auf ihn gewuͤrkt haben. Oft wird der Leſer
merkliche Luͤcken finden, er wird nicht begreifen, wie
der Mann ſo ſchnell und ohne daß die Urſachen davon
genau angegeben ſind, zur Erkenntniß und Ueberzeu-
gung von dieſer oder jener Wahrheit gekommen iſt.
Man muß aber nicht vergeſſen, daß er in meiner Ab-
weſenheit beſtaͤndig und mit vielem Nachdenken geleſen
hat, daß ich ihn durch die Buͤcher, die ich ihm gab,
und die auch in der Erzaͤhlung angezeigt ſind, von Zeit
zu Zeit auf das Nachfolgende vorbereitet habe, und
daß durch dieſe Buͤcher in einem Monate mehr Licht in
ſeine Seele gebracht iſt, als bloße Unterredungen in
einem Jahre uͤber ſie haͤtte verbreiten koͤnnen. Gegen
das Ende meiner Erzaͤhlung laſſe ich ihn am meiſten

reden.
)( 3
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[0009] Jch habe mich faſt jedesmahl ſorgfaͤltig auf dasjenige zubereitet, was ich ihm vortragen wollte, weil ich nicht glaubte, daß es mir erlaubt waͤre, ihm das erſte das beſte zu ſagen, was mir etwa einfallen wollte. Jch habe alles vorher durchgedacht und aufgeſchrieben, und weiß alſo gewiß, was ich geſagt habe. So bald ich von ihm zuruͤckkam, habe ich in meinem Tagebuch ſeine Aeußerungen nachgetragen, und, wenn ich gleich manches vergeſſen haben kann, ſo bin ich doch uͤber- zeugt, daß er ſelbſt redet, wo ich ihn reden laſſe, und ſo viel es moͤglich iſt, mit ſeinen eigenen Worten. Jch berichte zuweilen auch Kleinigkeiten. Aber nachdenkende Leſer finden oft durch die kleinſten Zuͤge den Character der Perſon, von der die Rede iſt, ins Licht geſtellt, und dann ſind es keine Kleinigkeiten mehr. Zuweilen rede ich ſelbſt mehr, als es ſcheint, daß ich haͤtte reden ſollen: aber ich muß ja die Bahn genau bezeichnen, die ich mit ihm gegangen bin, ich muß zeigen, welche Vorſtellungarten der Wahrheit am meiſten auf ihn gewuͤrkt haben. Oft wird der Leſer merkliche Luͤcken finden, er wird nicht begreifen, wie der Mann ſo ſchnell und ohne daß die Urſachen davon genau angegeben ſind, zur Erkenntniß und Ueberzeu- gung von dieſer oder jener Wahrheit gekommen iſt. Man muß aber nicht vergeſſen, daß er in meiner Ab- weſenheit beſtaͤndig und mit vielem Nachdenken geleſen hat, daß ich ihn durch die Buͤcher, die ich ihm gab, und die auch in der Erzaͤhlung angezeigt ſind, von Zeit zu Zeit auf das Nachfolgende vorbereitet habe, und daß durch dieſe Buͤcher in einem Monate mehr Licht in ſeine Seele gebracht iſt, als bloße Unterredungen in einem Jahre uͤber ſie haͤtte verbreiten koͤnnen. Gegen das Ende meiner Erzaͤhlung laſſe ich ihn am meiſten reden. )( 3

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/9>, abgerufen am 29.03.2024.