Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

wahrzunehmen: zuerst herrschte ein militärischer
esprit de corps, ohne alle weitere schöpferische
oder weltverbessernde Absicht -- unter diesem wur-
de Rom groß; nachher herrschen einzelne Des-
poten, mit dem zunehmenden Bestreben, die Welt
nach Willkühr umzuformen -- unter diesen wird
das Weltreich zertrümmert.

Bekanntlich entstand Rom durch ein Zusam-
menströmen der wunderbarsten Elemente; es
scheint, als habe sich aus allen benachbarten Ita-
liänischen Urstaaten das Unzufriedene, Genia-
lische, auch wohl Verbrecherische, ausgeschieden
und auf den sieben Hügeln niedergelassen. Die-
sen merkwürdigen Gegensatz bildet nehmlich die
Entstehung Roms, der Entstehung des Israeli-
tischen Staates gegenüber: Rom in seinem An-
fange ist ein Aggregat fremdartiger, durch die
Noth zusammengetriebener Personen; denn ob-
schon die ersten Römer alle Italischer Abkunft
waren, so war dennoch an keine alte Familien-
Gemeinschaft unter ihnen zu denken: Israel hin-
gegen ist ursprünglich eine einzige Familie, ver-
einigt durch den deutlichen Blutszusammenhang
mit einem einzigen, allen Gliedern der Familie
gegenwärtigen, Ahnherrn. Es darf also nicht
befremden, daß, so wie das älteste Israelitische
Gesetz unmittelbar einen persönlichen Charakter

wahrzunehmen: zuerſt herrſchte ein militaͤriſcher
esprit de corps, ohne alle weitere ſchoͤpferiſche
oder weltverbeſſernde Abſicht — unter dieſem wur-
de Rom groß; nachher herrſchen einzelne Des-
poten, mit dem zunehmenden Beſtreben, die Welt
nach Willkuͤhr umzuformen — unter dieſen wird
das Weltreich zertruͤmmert.

Bekanntlich entſtand Rom durch ein Zuſam-
menſtroͤmen der wunderbarſten Elemente; es
ſcheint, als habe ſich aus allen benachbarten Ita-
liaͤniſchen Urſtaaten das Unzufriedene, Genia-
liſche, auch wohl Verbrecheriſche, ausgeſchieden
und auf den ſieben Huͤgeln niedergelaſſen. Die-
ſen merkwuͤrdigen Gegenſatz bildet nehmlich die
Entſtehung Roms, der Entſtehung des Iſraeli-
tiſchen Staates gegenuͤber: Rom in ſeinem An-
fange iſt ein Aggregat fremdartiger, durch die
Noth zuſammengetriebener Perſonen; denn ob-
ſchon die erſten Roͤmer alle Italiſcher Abkunft
waren, ſo war dennoch an keine alte Familien-
Gemeinſchaft unter ihnen zu denken: Iſrael hin-
gegen iſt urſpruͤnglich eine einzige Familie, ver-
einigt durch den deutlichen Blutszuſammenhang
mit einem einzigen, allen Gliedern der Familie
gegenwaͤrtigen, Ahnherrn. Es darf alſo nicht
befremden, daß, ſo wie das aͤlteſte Iſraelitiſche
Geſetz unmittelbar einen perſoͤnlichen Charakter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="51"/>
wahrzunehmen: zuer&#x017F;t herr&#x017F;chte ein milita&#x0364;ri&#x017F;cher<lb/><hi rendition="#aq">esprit de corps</hi>, ohne alle weitere &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;che<lb/>
oder weltverbe&#x017F;&#x017F;ernde Ab&#x017F;icht &#x2014; unter die&#x017F;em wur-<lb/>
de Rom groß; nachher herr&#x017F;chen einzelne Des-<lb/>
poten, mit dem zunehmenden Be&#x017F;treben, die Welt<lb/>
nach Willku&#x0364;hr umzuformen &#x2014; unter die&#x017F;en wird<lb/>
das Weltreich zertru&#x0364;mmert.</p><lb/>
            <p>Bekanntlich ent&#x017F;tand Rom durch ein Zu&#x017F;am-<lb/>
men&#x017F;tro&#x0364;men der wunderbar&#x017F;ten Elemente; es<lb/>
&#x017F;cheint, als habe &#x017F;ich aus allen benachbarten Ita-<lb/>
lia&#x0364;ni&#x017F;chen Ur&#x017F;taaten das Unzufriedene, Genia-<lb/>
li&#x017F;che, auch wohl Verbrecheri&#x017F;che, ausge&#x017F;chieden<lb/>
und auf den &#x017F;ieben Hu&#x0364;geln niedergela&#x017F;&#x017F;en. Die-<lb/>
&#x017F;en merkwu&#x0364;rdigen Gegen&#x017F;atz bildet nehmlich die<lb/>
Ent&#x017F;tehung Roms, der Ent&#x017F;tehung des I&#x017F;raeli-<lb/>
ti&#x017F;chen Staates gegenu&#x0364;ber: Rom in &#x017F;einem An-<lb/>
fange i&#x017F;t ein Aggregat fremdartiger, durch die<lb/>
Noth zu&#x017F;ammengetriebener Per&#x017F;onen; denn ob-<lb/>
&#x017F;chon die er&#x017F;ten Ro&#x0364;mer alle Itali&#x017F;cher Abkunft<lb/>
waren, &#x017F;o war dennoch an keine alte Familien-<lb/>
Gemein&#x017F;chaft unter ihnen zu denken: I&#x017F;rael hin-<lb/>
gegen i&#x017F;t ur&#x017F;pru&#x0364;nglich eine einzige Familie, ver-<lb/>
einigt durch den deutlichen Blutszu&#x017F;ammenhang<lb/>
mit einem einzigen, allen Gliedern der Familie<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen, Ahnherrn. Es darf al&#x017F;o nicht<lb/>
befremden, daß, &#x017F;o wie das a&#x0364;lte&#x017F;te I&#x017F;raeliti&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;etz unmittelbar einen per&#x017F;o&#x0364;nlichen Charakter<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0059] wahrzunehmen: zuerſt herrſchte ein militaͤriſcher esprit de corps, ohne alle weitere ſchoͤpferiſche oder weltverbeſſernde Abſicht — unter dieſem wur- de Rom groß; nachher herrſchen einzelne Des- poten, mit dem zunehmenden Beſtreben, die Welt nach Willkuͤhr umzuformen — unter dieſen wird das Weltreich zertruͤmmert. Bekanntlich entſtand Rom durch ein Zuſam- menſtroͤmen der wunderbarſten Elemente; es ſcheint, als habe ſich aus allen benachbarten Ita- liaͤniſchen Urſtaaten das Unzufriedene, Genia- liſche, auch wohl Verbrecheriſche, ausgeſchieden und auf den ſieben Huͤgeln niedergelaſſen. Die- ſen merkwuͤrdigen Gegenſatz bildet nehmlich die Entſtehung Roms, der Entſtehung des Iſraeli- tiſchen Staates gegenuͤber: Rom in ſeinem An- fange iſt ein Aggregat fremdartiger, durch die Noth zuſammengetriebener Perſonen; denn ob- ſchon die erſten Roͤmer alle Italiſcher Abkunft waren, ſo war dennoch an keine alte Familien- Gemeinſchaft unter ihnen zu denken: Iſrael hin- gegen iſt urſpruͤnglich eine einzige Familie, ver- einigt durch den deutlichen Blutszuſammenhang mit einem einzigen, allen Gliedern der Familie gegenwaͤrtigen, Ahnherrn. Es darf alſo nicht befremden, daß, ſo wie das aͤlteſte Iſraelitiſche Geſetz unmittelbar einen perſoͤnlichen Charakter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/59
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/59>, abgerufen am 29.03.2024.