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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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auch die Parallele zwischen China und dem Rei-
che Israel weniger passen, so erweckt dagegen die
Vergleichung des Griechischen Bundes mit dem
großen völkerrechtlichen Bunde der Fünfreiche
eine Reihe fruchtbarer Gedanken. Auch den Euro-
päischen Fünfreichen fehlt gegenwärtig, wie den
Griechischen Staaten, die große Gewährleistung
einer suveränen Idee: das einzige Palladium,
die einzige gedenkbare Garantie jedes Völker-
Bundes, jeder Vereinigung mehrerer Stämme
in ein einziges Weltvolk.

Es gehört wenige Kunst dazu, zu zeigen, daß
die innere Spaltung der Fünfreiche erst durch die
Reformation lebensgefährlich geworden ist: den
einzigen Gott, in so fern wir uns eines solchen
Gedankens nicht überhaupt schämen, oder ihn
entbehren zu können meinen, glauben wir noch
heut zu Tage; aber es ist ein Begriff, und
keine Idee, keine suveräne Idee, sondern ein,
vielen andern Nichtswürdigkeiten tief subordinir-
ter, Begriff. Wie möchte also überhaupt noch
im Leben der Fünfreiche einige Gemeinschaftlich-
keit Statt finden, als etwa die des Amüsements
und der gemeinen Leiden des Tages! wie möchte
das unendliche Geräth, das tausendfältige Bei-
wesen unseres Lebens, der zersplitterte und zer-
splitternde Besitz zusammengehalten und nach

auch die Parallele zwiſchen China und dem Rei-
che Iſrael weniger paſſen, ſo erweckt dagegen die
Vergleichung des Griechiſchen Bundes mit dem
großen voͤlkerrechtlichen Bunde der Fuͤnfreiche
eine Reihe fruchtbarer Gedanken. Auch den Euro-
paͤiſchen Fuͤnfreichen fehlt gegenwaͤrtig, wie den
Griechiſchen Staaten, die große Gewaͤhrleiſtung
einer ſuveraͤnen Idee: das einzige Palladium,
die einzige gedenkbare Garantie jedes Voͤlker-
Bundes, jeder Vereinigung mehrerer Staͤmme
in ein einziges Weltvolk.

Es gehoͤrt wenige Kunſt dazu, zu zeigen, daß
die innere Spaltung der Fuͤnfreiche erſt durch die
Reformation lebensgefaͤhrlich geworden iſt: den
einzigen Gott, in ſo fern wir uns eines ſolchen
Gedankens nicht uͤberhaupt ſchaͤmen, oder ihn
entbehren zu koͤnnen meinen, glauben wir noch
heut zu Tage; aber es iſt ein Begriff, und
keine Idee, keine ſuveraͤne Idee, ſondern ein,
vielen andern Nichtswuͤrdigkeiten tief ſubordinir-
ter, Begriff. Wie moͤchte alſo uͤberhaupt noch
im Leben der Fuͤnfreiche einige Gemeinſchaftlich-
keit Statt finden, als etwa die des Amuͤſements
und der gemeinen Leiden des Tages! wie moͤchte
das unendliche Geraͤth, das tauſendfaͤltige Bei-
weſen unſeres Lebens, der zerſplitterte und zer-
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[42/0050] auch die Parallele zwiſchen China und dem Rei- che Iſrael weniger paſſen, ſo erweckt dagegen die Vergleichung des Griechiſchen Bundes mit dem großen voͤlkerrechtlichen Bunde der Fuͤnfreiche eine Reihe fruchtbarer Gedanken. Auch den Euro- paͤiſchen Fuͤnfreichen fehlt gegenwaͤrtig, wie den Griechiſchen Staaten, die große Gewaͤhrleiſtung einer ſuveraͤnen Idee: das einzige Palladium, die einzige gedenkbare Garantie jedes Voͤlker- Bundes, jeder Vereinigung mehrerer Staͤmme in ein einziges Weltvolk. Es gehoͤrt wenige Kunſt dazu, zu zeigen, daß die innere Spaltung der Fuͤnfreiche erſt durch die Reformation lebensgefaͤhrlich geworden iſt: den einzigen Gott, in ſo fern wir uns eines ſolchen Gedankens nicht uͤberhaupt ſchaͤmen, oder ihn entbehren zu koͤnnen meinen, glauben wir noch heut zu Tage; aber es iſt ein Begriff, und keine Idee, keine ſuveraͤne Idee, ſondern ein, vielen andern Nichtswuͤrdigkeiten tief ſubordinir- ter, Begriff. Wie moͤchte alſo uͤberhaupt noch im Leben der Fuͤnfreiche einige Gemeinſchaftlich- keit Statt finden, als etwa die des Amuͤſements und der gemeinen Leiden des Tages! wie moͤchte das unendliche Geraͤth, das tauſendfaͤltige Bei- weſen unſeres Lebens, der zerſplitterte und zer- ſplitternde Beſitz zuſammengehalten und nach

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/50>, abgerufen am 28.03.2024.