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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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nes Jahrhunderts vollständig gewachsen und,
bis auf das Zeitalter der Physiokraten herab, Idol
und Muster aller Financiers auf dem Continent
von Europa. Sein System harmonirte zu gut
mit dem Geiste des Jahrhunderts, und mit der
Tendenz der Geister, als daß es hätte verschwin-
den können, ehe die Umstände, welche es her-
vorgebracht hatten, abgeändert wurden.

Die Physiokraten und Adam Smith haben
durch Philosophie und reiche Erfahrung man-
cherlei ewige und auch lebendige Wahrheiten an's
Licht gebracht, doch sie nicht in den Zustand der
Dinge praktisch zu verweben gewußt; und so ist
ihnen, nicht etwa wegen der Trägheit und Her-
zenshärtigkeit der Regierungen -- denn diese ma-
chen nun schon seit beinahe einem halben Jahr-
hundert wirklich Profession davon, das Gute zu
wollen --, sondern wegen des ihnen widerstre-
benden Geistes der Zeit, der Sieg über Colbert
und die mercantilischen Principien nur sehr un-
vollkommen gelungen. Wenn die Physiokraten
und Adam Smith nach Befreiung von den ver-
haßten mercantilischen Schranken rufen, so ge-
ben ihnen alle Köpfe Recht; und dessen unge-
achtet schaffen alle Hände, und regen und bewe-
gen sich noch jetzt, nach Colbertischem Tacte.
Das ist die Folge von unsren consequenten Tren-

nes Jahrhunderts vollſtaͤndig gewachſen und,
bis auf das Zeitalter der Phyſiokraten herab, Idol
und Muſter aller Financiers auf dem Continent
von Europa. Sein Syſtem harmonirte zu gut
mit dem Geiſte des Jahrhunderts, und mit der
Tendenz der Geiſter, als daß es haͤtte verſchwin-
den koͤnnen, ehe die Umſtaͤnde, welche es her-
vorgebracht hatten, abgeaͤndert wurden.

Die Phyſiokraten und Adam Smith haben
durch Philoſophie und reiche Erfahrung man-
cherlei ewige und auch lebendige Wahrheiten an’s
Licht gebracht, doch ſie nicht in den Zuſtand der
Dinge praktiſch zu verweben gewußt; und ſo iſt
ihnen, nicht etwa wegen der Traͤgheit und Her-
zenshaͤrtigkeit der Regierungen — denn dieſe ma-
chen nun ſchon ſeit beinahe einem halben Jahr-
hundert wirklich Profeſſion davon, das Gute zu
wollen —, ſondern wegen des ihnen widerſtre-
benden Geiſtes der Zeit, der Sieg uͤber Colbert
und die mercantiliſchen Principien nur ſehr un-
vollkommen gelungen. Wenn die Phyſiokraten
und Adam Smith nach Befreiung von den ver-
haßten mercantiliſchen Schranken rufen, ſo ge-
ben ihnen alle Koͤpfe Recht; und deſſen unge-
achtet ſchaffen alle Haͤnde, und regen und bewe-
gen ſich noch jetzt, nach Colbertiſchem Tacte.
Das iſt die Folge von unſren conſequenten Tren-

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[212/0220] nes Jahrhunderts vollſtaͤndig gewachſen und, bis auf das Zeitalter der Phyſiokraten herab, Idol und Muſter aller Financiers auf dem Continent von Europa. Sein Syſtem harmonirte zu gut mit dem Geiſte des Jahrhunderts, und mit der Tendenz der Geiſter, als daß es haͤtte verſchwin- den koͤnnen, ehe die Umſtaͤnde, welche es her- vorgebracht hatten, abgeaͤndert wurden. Die Phyſiokraten und Adam Smith haben durch Philoſophie und reiche Erfahrung man- cherlei ewige und auch lebendige Wahrheiten an’s Licht gebracht, doch ſie nicht in den Zuſtand der Dinge praktiſch zu verweben gewußt; und ſo iſt ihnen, nicht etwa wegen der Traͤgheit und Her- zenshaͤrtigkeit der Regierungen — denn dieſe ma- chen nun ſchon ſeit beinahe einem halben Jahr- hundert wirklich Profeſſion davon, das Gute zu wollen —, ſondern wegen des ihnen widerſtre- benden Geiſtes der Zeit, der Sieg uͤber Colbert und die mercantiliſchen Principien nur ſehr un- vollkommen gelungen. Wenn die Phyſiokraten und Adam Smith nach Befreiung von den ver- haßten mercantiliſchen Schranken rufen, ſo ge- ben ihnen alle Koͤpfe Recht; und deſſen unge- achtet ſchaffen alle Haͤnde, und regen und bewe- gen ſich noch jetzt, nach Colbertiſchem Tacte. Das iſt die Folge von unſren conſequenten Tren-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/220>, abgerufen am 20.04.2024.