Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

affectionis, für mich haben, und dennoch kann
sich nach meinem Tode, wenn mein gesammtes
Mobiliar nach seinem bürgerlichen oder Geld-
Werthe angeschlagen wird, zeigen, daß sie in
den Augen der bürgerlichen Gesellschaft wenig
oder nichts bedeutet; d. h.: eine Sache kann
einen sehr bedeutenden Privat-Charakter,
und doch einen sehr geringen unscheinbaren bür-
gerlichen Charakter
haben. In Deutsch-
land sind vielleicht hundert Conchylien-Sammler,
und dagegen einige Millionen Getreidesammler;
mit andern Worten: eine seltne Conchylie wird
höchstens nur von hundert Mitgliedern der bür-
gerlichen Gesellschaft, ein Scheffel seltenes Korn
wird von Millionen Bürgern begehrt werden;
das Korn also wird ein Grund der Vereinigung
für Viele, die Conchylie nur für Wenige. In-
deß, wie Wenige es auch seyn mögen, welche
die seltene Neigung für Muscheln, Schnecken
und Insecten halben, so läßt sich dennoch von
dergleichen Sachen nicht behaupten, daß sie gar
keinen bürgerlichen Charakter hätten: sie werden
ein Grund des Verkehrs und der Correspondenz
für eine einzelne Gruppe von Bürgern.

So hat also jede Sache die doppelte Eigen-
schaft, 1) daß sie das Bedürfniß eines einzelnen
Menschen werden, und daß sie dessen ungeachtet

affectionis, fuͤr mich haben, und dennoch kann
ſich nach meinem Tode, wenn mein geſammtes
Mobiliar nach ſeinem buͤrgerlichen oder Geld-
Werthe angeſchlagen wird, zeigen, daß ſie in
den Augen der buͤrgerlichen Geſellſchaft wenig
oder nichts bedeutet; d. h.: eine Sache kann
einen ſehr bedeutenden Privat-Charakter,
und doch einen ſehr geringen unſcheinbaren buͤr-
gerlichen Charakter
haben. In Deutſch-
land ſind vielleicht hundert Conchylien-Sammler,
und dagegen einige Millionen Getreideſammler;
mit andern Worten: eine ſeltne Conchylie wird
hoͤchſtens nur von hundert Mitgliedern der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft, ein Scheffel ſeltenes Korn
wird von Millionen Buͤrgern begehrt werden;
das Korn alſo wird ein Grund der Vereinigung
fuͤr Viele, die Conchylie nur fuͤr Wenige. In-
deß, wie Wenige es auch ſeyn moͤgen, welche
die ſeltene Neigung fuͤr Muſcheln, Schnecken
und Inſecten halben, ſo laͤßt ſich dennoch von
dergleichen Sachen nicht behaupten, daß ſie gar
keinen buͤrgerlichen Charakter haͤtten: ſie werden
ein Grund des Verkehrs und der Correſpondenz
fuͤr eine einzelne Gruppe von Buͤrgern.

So hat alſo jede Sache die doppelte Eigen-
ſchaft, 1) daß ſie das Beduͤrfniß eines einzelnen
Menſchen werden, und daß ſie deſſen ungeachtet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0189" n="181"/>
affectionis</hi>, fu&#x0364;r mich haben, und dennoch kann<lb/>
&#x017F;ich nach meinem Tode, wenn mein ge&#x017F;ammtes<lb/>
Mobiliar nach &#x017F;einem bu&#x0364;rgerlichen oder Geld-<lb/>
Werthe ange&#x017F;chlagen wird, zeigen, daß &#x017F;ie in<lb/>
den Augen der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wenig<lb/>
oder nichts bedeutet; d. h.: eine Sache kann<lb/>
einen &#x017F;ehr bedeutenden <hi rendition="#g">Privat-Charakter</hi>,<lb/>
und doch einen &#x017F;ehr geringen un&#x017F;cheinbaren <hi rendition="#g">bu&#x0364;r-<lb/>
gerlichen Charakter</hi> haben. In Deut&#x017F;ch-<lb/>
land &#x017F;ind vielleicht hundert Conchylien-Sammler,<lb/>
und dagegen einige Millionen Getreide&#x017F;ammler;<lb/>
mit andern Worten: eine &#x017F;eltne Conchylie wird<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur von hundert Mitgliedern der bu&#x0364;r-<lb/>
gerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, ein Scheffel &#x017F;eltenes Korn<lb/>
wird von Millionen Bu&#x0364;rgern begehrt werden;<lb/>
das Korn al&#x017F;o wird ein Grund der Vereinigung<lb/>
fu&#x0364;r Viele, die Conchylie nur fu&#x0364;r Wenige. In-<lb/>
deß, wie Wenige es auch &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, welche<lb/>
die &#x017F;eltene Neigung fu&#x0364;r Mu&#x017F;cheln, Schnecken<lb/>
und In&#x017F;ecten halben, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich dennoch von<lb/>
dergleichen Sachen nicht behaupten, daß &#x017F;ie gar<lb/>
keinen bu&#x0364;rgerlichen Charakter ha&#x0364;tten: &#x017F;ie werden<lb/>
ein Grund des Verkehrs und der Corre&#x017F;pondenz<lb/>
fu&#x0364;r eine einzelne Gruppe von Bu&#x0364;rgern.</p><lb/>
            <p>So hat al&#x017F;o jede Sache die doppelte Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft, 1) daß &#x017F;ie das Bedu&#x0364;rfniß eines einzelnen<lb/>
Men&#x017F;chen werden, und daß &#x017F;ie de&#x017F;&#x017F;en ungeachtet<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0189] affectionis, fuͤr mich haben, und dennoch kann ſich nach meinem Tode, wenn mein geſammtes Mobiliar nach ſeinem buͤrgerlichen oder Geld- Werthe angeſchlagen wird, zeigen, daß ſie in den Augen der buͤrgerlichen Geſellſchaft wenig oder nichts bedeutet; d. h.: eine Sache kann einen ſehr bedeutenden Privat-Charakter, und doch einen ſehr geringen unſcheinbaren buͤr- gerlichen Charakter haben. In Deutſch- land ſind vielleicht hundert Conchylien-Sammler, und dagegen einige Millionen Getreideſammler; mit andern Worten: eine ſeltne Conchylie wird hoͤchſtens nur von hundert Mitgliedern der buͤr- gerlichen Geſellſchaft, ein Scheffel ſeltenes Korn wird von Millionen Buͤrgern begehrt werden; das Korn alſo wird ein Grund der Vereinigung fuͤr Viele, die Conchylie nur fuͤr Wenige. In- deß, wie Wenige es auch ſeyn moͤgen, welche die ſeltene Neigung fuͤr Muſcheln, Schnecken und Inſecten halben, ſo laͤßt ſich dennoch von dergleichen Sachen nicht behaupten, daß ſie gar keinen buͤrgerlichen Charakter haͤtten: ſie werden ein Grund des Verkehrs und der Correſpondenz fuͤr eine einzelne Gruppe von Buͤrgern. So hat alſo jede Sache die doppelte Eigen- ſchaft, 1) daß ſie das Beduͤrfniß eines einzelnen Menſchen werden, und daß ſie deſſen ungeachtet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/189
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/189>, abgerufen am 28.03.2024.