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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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blicken ließ, mußte er natürlicher Weise gerathen:
Einerseits durch den Römischen Gedanken von
Autokratie und unbedingter Macht, den das
Schicksal in seiner Seele befestigt hatte; andrer-
seits durch die Ideen von Freiheit, von Aufklä-
rung und Humanität, die über sein Herz große
Gewalt ausübten, und die er auch keinesweges
mala fide als eine bloße Maske des Despotis-
mus gebrauchte. --

Was wir in diesen Vorlesungen Nationa-
lität
genannt haben, jene göttliche Harmonie,
Gegenseitigkeit und Wechselwirkung zwischen dem
Privat- und öffentlichen Interesse, konnte der sel-
tene Mann, obwohl in seiner Art vollendet nach
Zeit- und früherer Bildungsweise, nicht mehr ver-
stehen lernen. Mit der Einen Hand gab er den
Geistern Freiheit und Toleranz; für die andre
schien ihm nichts übrig, als eben dieselben Gei-
ster in eine kalte, mechanische Form zusammen
zu drücken.

So wie aber Friedrich's Privat-Leben von
dem öffentlichen scharf getrennt blieb: so war
es unter ihm auch in seinem Staate, und nicht
ohne nachbleibende Folgen! Der Antheil des
Herzens und des Gemüthes wurde schwach, un-
fühlbar in der National-Verbindung; und,
wie bei Friedrich selbst, rettete sich das Edelste

blicken ließ, mußte er natuͤrlicher Weiſe gerathen:
Einerſeits durch den Roͤmiſchen Gedanken von
Autokratie und unbedingter Macht, den das
Schickſal in ſeiner Seele befeſtigt hatte; andrer-
ſeits durch die Ideen von Freiheit, von Aufklaͤ-
rung und Humanitaͤt, die uͤber ſein Herz große
Gewalt ausuͤbten, und die er auch keinesweges
mala fide als eine bloße Maske des Despotis-
mus gebrauchte. —

Was wir in dieſen Vorleſungen Nationa-
litaͤt
genannt haben, jene goͤttliche Harmonie,
Gegenſeitigkeit und Wechſelwirkung zwiſchen dem
Privat- und oͤffentlichen Intereſſe, konnte der ſel-
tene Mann, obwohl in ſeiner Art vollendet nach
Zeit- und fruͤherer Bildungsweiſe, nicht mehr ver-
ſtehen lernen. Mit der Einen Hand gab er den
Geiſtern Freiheit und Toleranz; fuͤr die andre
ſchien ihm nichts uͤbrig, als eben dieſelben Gei-
ſter in eine kalte, mechaniſche Form zuſammen
zu druͤcken.

So wie aber Friedrich’s Privat-Leben von
dem oͤffentlichen ſcharf getrennt blieb: ſo war
es unter ihm auch in ſeinem Staate, und nicht
ohne nachbleibende Folgen! Der Antheil des
Herzens und des Gemuͤthes wurde ſchwach, un-
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[166/0174] blicken ließ, mußte er natuͤrlicher Weiſe gerathen: Einerſeits durch den Roͤmiſchen Gedanken von Autokratie und unbedingter Macht, den das Schickſal in ſeiner Seele befeſtigt hatte; andrer- ſeits durch die Ideen von Freiheit, von Aufklaͤ- rung und Humanitaͤt, die uͤber ſein Herz große Gewalt ausuͤbten, und die er auch keinesweges mala fide als eine bloße Maske des Despotis- mus gebrauchte. — Was wir in dieſen Vorleſungen Nationa- litaͤt genannt haben, jene goͤttliche Harmonie, Gegenſeitigkeit und Wechſelwirkung zwiſchen dem Privat- und oͤffentlichen Intereſſe, konnte der ſel- tene Mann, obwohl in ſeiner Art vollendet nach Zeit- und fruͤherer Bildungsweiſe, nicht mehr ver- ſtehen lernen. Mit der Einen Hand gab er den Geiſtern Freiheit und Toleranz; fuͤr die andre ſchien ihm nichts uͤbrig, als eben dieſelben Gei- ſter in eine kalte, mechaniſche Form zuſammen zu druͤcken. So wie aber Friedrich’s Privat-Leben von dem oͤffentlichen ſcharf getrennt blieb: ſo war es unter ihm auch in ſeinem Staate, und nicht ohne nachbleibende Folgen! Der Antheil des Herzens und des Gemuͤthes wurde ſchwach, un- fuͤhlbar in der National-Verbindung; und, wie bei Friedrich ſelbſt, rettete ſich das Edelſte

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/174>, abgerufen am 23.04.2024.