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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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fühl des Mittelalters, welches die Institute jener-
Zeit unterstützte und ihnen den herrlichsten Sinn
gab, konnte aussterben, oder ausarten, verdrängt
werden durch andre minder menschliche Gefühle
für Gold, für Römische und Griechische Poli-
tur, für Aufklärung des Verstandes -- der Ver-
stand und das Bewußtseyn mußte erst den Ge-
fühlen Kraft und Haltung geben, und so die
organische Verbindung möglich machen. Das ist
nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun-
derte: nicht das Wiederaufleben der Wissenschaf-
ten, nicht die Erweiterung des menschlichen Ge-
sichtskreises an sich, sind, wie man gewöhnlich
glaubt, der Gewinn dieser Zeiten. An sich tau-
gen weder Wissenschaft, noch Universalität, noch
aller Flitterstaat unseres modernen Lebens etwas.
Aber daß durch alle diese Verirrungen endlich in
dem von eigener Aufklärung gepeinigten, von
eignem Protestamtismus zernagten Innersten die-
ses Geschlechtes, ein Verstand gebildet werden
mag, der sich mit den tüchtigen Gefühlen des
Mittelalters verbinden kann, ohne sie auszu-
schließen; der von dem Geiste der Institute im
Mittelalter erfüllt werden kann, ohne sie hand-
werksmäßig nachzuahmen; der die unzähligen
verlassenen, aber unzerstörbaren, Monumente des
Mittelalters in Gesetz, Sitte und Kunst wieder

fuͤhl des Mittelalters, welches die Inſtitute jener-
Zeit unterſtuͤtzte und ihnen den herrlichſten Sinn
gab, konnte ausſterben, oder ausarten, verdraͤngt
werden durch andre minder menſchliche Gefuͤhle
fuͤr Gold, fuͤr Roͤmiſche und Griechiſche Poli-
tur, fuͤr Aufklaͤrung des Verſtandes — der Ver-
ſtand und das Bewußtſeyn mußte erſt den Ge-
fuͤhlen Kraft und Haltung geben, und ſo die
organiſche Verbindung moͤglich machen. Das iſt
nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun-
derte: nicht das Wiederaufleben der Wiſſenſchaf-
ten, nicht die Erweiterung des menſchlichen Ge-
ſichtskreiſes an ſich, ſind, wie man gewoͤhnlich
glaubt, der Gewinn dieſer Zeiten. An ſich tau-
gen weder Wiſſenſchaft, noch Univerſalitaͤt, noch
aller Flitterſtaat unſeres modernen Lebens etwas.
Aber daß durch alle dieſe Verirrungen endlich in
dem von eigener Aufklaͤrung gepeinigten, von
eignem Proteſtamtismus zernagten Innerſten die-
ſes Geſchlechtes, ein Verſtand gebildet werden
mag, der ſich mit den tuͤchtigen Gefuͤhlen des
Mittelalters verbinden kann, ohne ſie auszu-
ſchließen; der von dem Geiſte der Inſtitute im
Mittelalter erfuͤllt werden kann, ohne ſie hand-
werksmaͤßig nachzuahmen; der die unzaͤhligen
verlaſſenen, aber unzerſtoͤrbaren, Monumente des
Mittelalters in Geſetz, Sitte und Kunſt wieder

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[135/0143] fuͤhl des Mittelalters, welches die Inſtitute jener- Zeit unterſtuͤtzte und ihnen den herrlichſten Sinn gab, konnte ausſterben, oder ausarten, verdraͤngt werden durch andre minder menſchliche Gefuͤhle fuͤr Gold, fuͤr Roͤmiſche und Griechiſche Poli- tur, fuͤr Aufklaͤrung des Verſtandes — der Ver- ſtand und das Bewußtſeyn mußte erſt den Ge- fuͤhlen Kraft und Haltung geben, und ſo die organiſche Verbindung moͤglich machen. Das iſt nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun- derte: nicht das Wiederaufleben der Wiſſenſchaf- ten, nicht die Erweiterung des menſchlichen Ge- ſichtskreiſes an ſich, ſind, wie man gewoͤhnlich glaubt, der Gewinn dieſer Zeiten. An ſich tau- gen weder Wiſſenſchaft, noch Univerſalitaͤt, noch aller Flitterſtaat unſeres modernen Lebens etwas. Aber daß durch alle dieſe Verirrungen endlich in dem von eigener Aufklaͤrung gepeinigten, von eignem Proteſtamtismus zernagten Innerſten die- ſes Geſchlechtes, ein Verſtand gebildet werden mag, der ſich mit den tuͤchtigen Gefuͤhlen des Mittelalters verbinden kann, ohne ſie auszu- ſchließen; der von dem Geiſte der Inſtitute im Mittelalter erfuͤllt werden kann, ohne ſie hand- werksmaͤßig nachzuahmen; der die unzaͤhligen verlaſſenen, aber unzerſtoͤrbaren, Monumente des Mittelalters in Geſetz, Sitte und Kunſt wieder

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/143>, abgerufen am 23.04.2024.