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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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hemmen, bald wechselseitig ihren gemeinschaftli-
chen Lauf beschleunigen; kurz, abgesondert von
einander sind sie nichts, vereinigt alles.

Dem zu Folge würde ich auf die Frage des
Abbe Sieyes: qu'est ce que c'est le tiers-etat?
in seinem Sinne, als alleiniger und absoluter
Stand, antworten: in so fern er alles in allem
seyn soll, ist er nichts; für die Gesellschaft und
in allen politischen Beziehungen nichts, nichts.
Wie alles bewegliche und vergängliche Ei-
genthum nur dadurch Werth erhält, daß es auf
das unbewegliche und bleibende bezogen
und daran angeschlossen werden kann; wie es
ohne Bedeutung und Sinn im Weltall umher
flattert, sobald man den vaterländischen Boden
darunter weg zieht: so der Geldeigenthümer ohne
den Grundeigenthümer. Das Grundeigenthum
in seiner Unbeweglichkeit ist nur Symbol, äuße-
res Bild des unsichtbaren, viel festeren Grund-
eigenthums, welches die Gesetze formiren, so
wie das bewegliche Eigenthum nur Bild jenes un-
sichtbaren Geistes der Bewegung, welchen wir
Freiheit nennen. Was soll eins ohne das andre
uns Menschen, die wir unaufhörlich beides wol-
len, wenn wir vernünftig sind, und uns selbst
kennen: sowohl die Dauer als die Bewegung,
so wohl das Ewige als das Zeitliche! Wir brau-

Müllers Elemente. II. [9]

hemmen, bald wechſelſeitig ihren gemeinſchaftli-
chen Lauf beſchleunigen; kurz, abgeſondert von
einander ſind ſie nichts, vereinigt alles.

Dem zu Folge wuͤrde ich auf die Frage des
Abbé Sieyes: qu’est ce que c’est le tiers-état?
in ſeinem Sinne, als alleiniger und abſoluter
Stand, antworten: in ſo fern er alles in allem
ſeyn ſoll, iſt er nichts; fuͤr die Geſellſchaft und
in allen politiſchen Beziehungen nichts, nichts.
Wie alles bewegliche und vergaͤngliche Ei-
genthum nur dadurch Werth erhaͤlt, daß es auf
das unbewegliche und bleibende bezogen
und daran angeſchloſſen werden kann; wie es
ohne Bedeutung und Sinn im Weltall umher
flattert, ſobald man den vaterlaͤndiſchen Boden
darunter weg zieht: ſo der Geldeigenthuͤmer ohne
den Grundeigenthuͤmer. Das Grundeigenthum
in ſeiner Unbeweglichkeit iſt nur Symbol, aͤuße-
res Bild des unſichtbaren, viel feſteren Grund-
eigenthums, welches die Geſetze formiren, ſo
wie das bewegliche Eigenthum nur Bild jenes un-
ſichtbaren Geiſtes der Bewegung, welchen wir
Freiheit nennen. Was ſoll eins ohne das andre
uns Menſchen, die wir unaufhoͤrlich beides wol-
len, wenn wir vernuͤnftig ſind, und uns ſelbſt
kennen: ſowohl die Dauer als die Bewegung,
ſo wohl das Ewige als das Zeitliche! Wir brau-

Müllers Elemente. II. [9]
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[129/0137] hemmen, bald wechſelſeitig ihren gemeinſchaftli- chen Lauf beſchleunigen; kurz, abgeſondert von einander ſind ſie nichts, vereinigt alles. Dem zu Folge wuͤrde ich auf die Frage des Abbé Sieyes: qu’est ce que c’est le tiers-état? in ſeinem Sinne, als alleiniger und abſoluter Stand, antworten: in ſo fern er alles in allem ſeyn ſoll, iſt er nichts; fuͤr die Geſellſchaft und in allen politiſchen Beziehungen nichts, nichts. Wie alles bewegliche und vergaͤngliche Ei- genthum nur dadurch Werth erhaͤlt, daß es auf das unbewegliche und bleibende bezogen und daran angeſchloſſen werden kann; wie es ohne Bedeutung und Sinn im Weltall umher flattert, ſobald man den vaterlaͤndiſchen Boden darunter weg zieht: ſo der Geldeigenthuͤmer ohne den Grundeigenthuͤmer. Das Grundeigenthum in ſeiner Unbeweglichkeit iſt nur Symbol, aͤuße- res Bild des unſichtbaren, viel feſteren Grund- eigenthums, welches die Geſetze formiren, ſo wie das bewegliche Eigenthum nur Bild jenes un- ſichtbaren Geiſtes der Bewegung, welchen wir Freiheit nennen. Was ſoll eins ohne das andre uns Menſchen, die wir unaufhoͤrlich beides wol- len, wenn wir vernuͤnftig ſind, und uns ſelbſt kennen: ſowohl die Dauer als die Bewegung, ſo wohl das Ewige als das Zeitliche! Wir brau- Müllers Elemente. II. [9]

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/137>, abgerufen am 20.04.2024.