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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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auf den großen Haufen, ohne daß sie daran
Theil nehmen, und bloß durch seine Fortdauer,
gewissermaßen als reines Symbol, eine Art von
Sicherheitsgefühl in ihnen begründet, einer Art
von dunkler Ahndung in ihnen zur Grundlage
dient, die nichts anderes zu ersetzen im Stande
ist. --

Alles Schöne, Dauerhafte und Große in
unsern bürgerlichen Verfassungen verdanken wir,
wie ich schon gezeigt habe, der christlichen Reli-
gion. Sie hat uns ein Gesetz gebracht, wel-
ches, erhaben über den Wandel der Zeiten und
den Wechsel des Glückes, fortdauert, in so fern
die Menschheit steht. Von dem traurigen Wahn
nothwendigen Steigens und Fallens, kurzer Blü-
the und unvermeidlichen Unterganges der Staa-
ten und Reiche hat sie uns geheilt durch ein le-
bendiges und ewig belebendes Gesetz -- durch
das Gesetz von der schönen Gegenseitigkeit des
Lebens, und durch die Art wie das physisch-
Schwächere, Aermere und Demüthigere, was
der jugendliche Uebermuth der alten Völker über-
sehen hatte, in ihr verklärt worden. Sie hat uns
gelehrt, was Freiheit sey, und daß sie nur durch
die Nebenfreiheit der Andern, nur in Wechsel-
freiheit bestehen und erscheinen könne.

Dieses höchste Lebensziel, wonach die Alten

gerun-

auf den großen Haufen, ohne daß ſie daran
Theil nehmen, und bloß durch ſeine Fortdauer,
gewiſſermaßen als reines Symbol, eine Art von
Sicherheitsgefuͤhl in ihnen begruͤndet, einer Art
von dunkler Ahndung in ihnen zur Grundlage
dient, die nichts anderes zu erſetzen im Stande
iſt. —

Alles Schoͤne, Dauerhafte und Große in
unſern buͤrgerlichen Verfaſſungen verdanken wir,
wie ich ſchon gezeigt habe, der chriſtlichen Reli-
gion. Sie hat uns ein Geſetz gebracht, wel-
ches, erhaben uͤber den Wandel der Zeiten und
den Wechſel des Gluͤckes, fortdauert, in ſo fern
die Menſchheit ſteht. Von dem traurigen Wahn
nothwendigen Steigens und Fallens, kurzer Bluͤ-
the und unvermeidlichen Unterganges der Staa-
ten und Reiche hat ſie uns geheilt durch ein le-
bendiges und ewig belebendes Geſetz — durch
das Geſetz von der ſchoͤnen Gegenſeitigkeit des
Lebens, und durch die Art wie das phyſiſch-
Schwaͤchere, Aermere und Demuͤthigere, was
der jugendliche Uebermuth der alten Voͤlker uͤber-
ſehen hatte, in ihr verklaͤrt worden. Sie hat uns
gelehrt, was Freiheit ſey, und daß ſie nur durch
die Nebenfreiheit der Andern, nur in Wechſel-
freiheit beſtehen und erſcheinen koͤnne.

Dieſes hoͤchſte Lebensziel, wonach die Alten

gerun-
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[112/0120] auf den großen Haufen, ohne daß ſie daran Theil nehmen, und bloß durch ſeine Fortdauer, gewiſſermaßen als reines Symbol, eine Art von Sicherheitsgefuͤhl in ihnen begruͤndet, einer Art von dunkler Ahndung in ihnen zur Grundlage dient, die nichts anderes zu erſetzen im Stande iſt. — Alles Schoͤne, Dauerhafte und Große in unſern buͤrgerlichen Verfaſſungen verdanken wir, wie ich ſchon gezeigt habe, der chriſtlichen Reli- gion. Sie hat uns ein Geſetz gebracht, wel- ches, erhaben uͤber den Wandel der Zeiten und den Wechſel des Gluͤckes, fortdauert, in ſo fern die Menſchheit ſteht. Von dem traurigen Wahn nothwendigen Steigens und Fallens, kurzer Bluͤ- the und unvermeidlichen Unterganges der Staa- ten und Reiche hat ſie uns geheilt durch ein le- bendiges und ewig belebendes Geſetz — durch das Geſetz von der ſchoͤnen Gegenſeitigkeit des Lebens, und durch die Art wie das phyſiſch- Schwaͤchere, Aermere und Demuͤthigere, was der jugendliche Uebermuth der alten Voͤlker uͤber- ſehen hatte, in ihr verklaͤrt worden. Sie hat uns gelehrt, was Freiheit ſey, und daß ſie nur durch die Nebenfreiheit der Andern, nur in Wechſel- freiheit beſtehen und erſcheinen koͤnne. Dieſes hoͤchſte Lebensziel, wonach die Alten gerun-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/120>, abgerufen am 29.03.2024.