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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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in den Augen der einzelnen Geistlichen die Idee
der allgemeinen Kirche und ihres geistigen Regi-
ments zu einem kalten Begriff herab gesunken.
Der Buchstabe, der mit dem Geiste in inniger
Verbindung und Wechselwirkung leben soll, hatte
diesen unterdrückt; um sie in sichtbarer Gestalt,
in ungeheuren Steinmassen an's Licht treten zu
lassen, wurde das unsichtbare Band, wenn es
auch keinesweges die alte Kraft verloren hatte,
dennoch auf's Spiel gesetzt. Nicht ohne Bedeu-
tung wurde gerade der Bau von St. Peter die
unmittelbare Veranlassung zu der Spaltung der
Kirche. -- Die Wiederbelebung der zu allem Heil
Europäischer Staaten unentbehrlichen Idee von
der geistigen Verbindung der Christenheit, war
das Problem, welches dem sechzehnten Jahrhun-
dert dargeboten wurde. Anstatt aber die Idee der
Kirche und ihres Regiments, wie sie sich in dem
Laufe des ganzen vorangegangenen Jahrtausends
in der Bewegung ausdrückte, aufzufassen, schritt
man zu dem gewöhnlichen Extreme: man ver-
wechselte das Gemißbrauchte mit dem Mißbrauch,
das Entweihete mit der Entweihung; man ver-
warf die weltliche Macht und den weltlichen
Einfluß der Geistlichkeit und ihr politisches Da-
seyn als Stand ganz und gar; man zog den
geistlichen Beruf von dem geistlichen Stande durch

in den Augen der einzelnen Geiſtlichen die Idee
der allgemeinen Kirche und ihres geiſtigen Regi-
ments zu einem kalten Begriff herab geſunken.
Der Buchſtabe, der mit dem Geiſte in inniger
Verbindung und Wechſelwirkung leben ſoll, hatte
dieſen unterdruͤckt; um ſie in ſichtbarer Geſtalt,
in ungeheuren Steinmaſſen an’s Licht treten zu
laſſen, wurde das unſichtbare Band, wenn es
auch keinesweges die alte Kraft verloren hatte,
dennoch auf’s Spiel geſetzt. Nicht ohne Bedeu-
tung wurde gerade der Bau von St. Peter die
unmittelbare Veranlaſſung zu der Spaltung der
Kirche. — Die Wiederbelebung der zu allem Heil
Europaͤiſcher Staaten unentbehrlichen Idee von
der geiſtigen Verbindung der Chriſtenheit, war
das Problem, welches dem ſechzehnten Jahrhun-
dert dargeboten wurde. Anſtatt aber die Idee der
Kirche und ihres Regiments, wie ſie ſich in dem
Laufe des ganzen vorangegangenen Jahrtauſends
in der Bewegung ausdruͤckte, aufzufaſſen, ſchritt
man zu dem gewoͤhnlichen Extreme: man ver-
wechſelte das Gemißbrauchte mit dem Mißbrauch,
das Entweihete mit der Entweihung; man ver-
warf die weltliche Macht und den weltlichen
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[109/0117] in den Augen der einzelnen Geiſtlichen die Idee der allgemeinen Kirche und ihres geiſtigen Regi- ments zu einem kalten Begriff herab geſunken. Der Buchſtabe, der mit dem Geiſte in inniger Verbindung und Wechſelwirkung leben ſoll, hatte dieſen unterdruͤckt; um ſie in ſichtbarer Geſtalt, in ungeheuren Steinmaſſen an’s Licht treten zu laſſen, wurde das unſichtbare Band, wenn es auch keinesweges die alte Kraft verloren hatte, dennoch auf’s Spiel geſetzt. Nicht ohne Bedeu- tung wurde gerade der Bau von St. Peter die unmittelbare Veranlaſſung zu der Spaltung der Kirche. — Die Wiederbelebung der zu allem Heil Europaͤiſcher Staaten unentbehrlichen Idee von der geiſtigen Verbindung der Chriſtenheit, war das Problem, welches dem ſechzehnten Jahrhun- dert dargeboten wurde. Anſtatt aber die Idee der Kirche und ihres Regiments, wie ſie ſich in dem Laufe des ganzen vorangegangenen Jahrtauſends in der Bewegung ausdruͤckte, aufzufaſſen, ſchritt man zu dem gewoͤhnlichen Extreme: man ver- wechſelte das Gemißbrauchte mit dem Mißbrauch, das Entweihete mit der Entweihung; man ver- warf die weltliche Macht und den weltlichen Einfluß der Geiſtlichkeit und ihr politiſches Da- ſeyn als Stand ganz und gar; man zog den geiſtlichen Beruf von dem geiſtlichen Stande durch

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/117>, abgerufen am 25.04.2024.