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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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mit kalten Steinmassen, die das Eisen erst regie-
ren und formen, und dann das Winkelmaß
ordnen und führen muß? -- Allerdings greift
man nach allem Großen im Gebiete der Kunst,
wenn man die erste Empfindung beschreiben will,
welche die Betrachtung der bürgerlichen Gesell-
schaft erweckt. Die Monumente der Baukunst
bieten sich dem Vergleiche zuerst dar. Die Dauer
vor allen Dingen, die Ewigkeit, welche aus ih-
nen redet, die kühnen Formen, die in sich selbst
ruhende Größe: -- alle diese Eigenschaften kom-
men auch dem Staate zu; -- und so mag der erste
Eintritt in die Staatswissenschaft für das Ge-
fühl verwandt seyn mit der Betrachtung der
Trajans-Säule oder der Piramyden.

Aber wo bleibt dieses, wo bleiben alle ande-
ren Gleichnisse, wenn man die Bewegung
der bürgerlichen Gesellschaft, ihr Fortschreiten,
ihr Umsichgreifen, den rastlosen Umlauf ihrer
Kräfte und Reichthümer wahrzunehmen anfängt!
wenn die Geschichte uns den Staat durch ganze
Jahrhunderte im ewigen Kampfe und Wettlaufe
mit anderen Staaten zeigt! Ein ruhender Gla-
diator, ein schlafender Feldherr, sind der Dar-
stellung würdig für Den, der sie im Circus und
auf dem Schlachtfelde gesehen hat: eben so ist
der stillstehende Staat, wie ihn die gemächliche

mit kalten Steinmaſſen, die das Eiſen erſt regie-
ren und formen, und dann das Winkelmaß
ordnen und fuͤhren muß? — Allerdings greift
man nach allem Großen im Gebiete der Kunſt,
wenn man die erſte Empfindung beſchreiben will,
welche die Betrachtung der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft erweckt. Die Monumente der Baukunſt
bieten ſich dem Vergleiche zuerſt dar. Die Dauer
vor allen Dingen, die Ewigkeit, welche aus ih-
nen redet, die kuͤhnen Formen, die in ſich ſelbſt
ruhende Groͤße: — alle dieſe Eigenſchaften kom-
men auch dem Staate zu; — und ſo mag der erſte
Eintritt in die Staatswiſſenſchaft fuͤr das Ge-
fuͤhl verwandt ſeyn mit der Betrachtung der
Trajans-Saͤule oder der Piramyden.

Aber wo bleibt dieſes, wo bleiben alle ande-
ren Gleichniſſe, wenn man die Bewegung
der buͤrgerlichen Geſellſchaft, ihr Fortſchreiten,
ihr Umſichgreifen, den raſtloſen Umlauf ihrer
Kraͤfte und Reichthuͤmer wahrzunehmen anfaͤngt!
wenn die Geſchichte uns den Staat durch ganze
Jahrhunderte im ewigen Kampfe und Wettlaufe
mit anderen Staaten zeigt! Ein ruhender Gla-
diator, ein ſchlafender Feldherr, ſind der Dar-
ſtellung wuͤrdig fuͤr Den, der ſie im Circus und
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[4/0038] mit kalten Steinmaſſen, die das Eiſen erſt regie- ren und formen, und dann das Winkelmaß ordnen und fuͤhren muß? — Allerdings greift man nach allem Großen im Gebiete der Kunſt, wenn man die erſte Empfindung beſchreiben will, welche die Betrachtung der buͤrgerlichen Geſell- ſchaft erweckt. Die Monumente der Baukunſt bieten ſich dem Vergleiche zuerſt dar. Die Dauer vor allen Dingen, die Ewigkeit, welche aus ih- nen redet, die kuͤhnen Formen, die in ſich ſelbſt ruhende Groͤße: — alle dieſe Eigenſchaften kom- men auch dem Staate zu; — und ſo mag der erſte Eintritt in die Staatswiſſenſchaft fuͤr das Ge- fuͤhl verwandt ſeyn mit der Betrachtung der Trajans-Saͤule oder der Piramyden. Aber wo bleibt dieſes, wo bleiben alle ande- ren Gleichniſſe, wenn man die Bewegung der buͤrgerlichen Geſellſchaft, ihr Fortſchreiten, ihr Umſichgreifen, den raſtloſen Umlauf ihrer Kraͤfte und Reichthuͤmer wahrzunehmen anfaͤngt! wenn die Geſchichte uns den Staat durch ganze Jahrhunderte im ewigen Kampfe und Wettlaufe mit anderen Staaten zeigt! Ein ruhender Gla- diator, ein ſchlafender Feldherr, ſind der Dar- ſtellung wuͤrdig fuͤr Den, der ſie im Circus und auf dem Schlachtfelde geſehen hat: eben ſo iſt der ſtillſtehende Staat, wie ihn die gemaͤchliche

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/38>, abgerufen am 23.04.2024.