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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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näher, als man glaubt. Daß in England eine
solche Theilung der Gewalten Statt finde, ist
nicht wahr: diesen albernen Gedanken haben
Stubengelehrte, und späterhin, in ihre Fuß-
stapfen tretend, der große Haufe der Brittischen
Verfassung untergelegt. Die Macht ist nicht
getheilt, sondern die uralten Gegensätze in der
bürgerlichen Gesellschaft, aus deren Wechselwir-
kung alle wahre und einfache Macht erst ent-
springt, sind in England geschont, geheiligt,
und bekräftigt durch Zeit und treues Beharren
der Nation: das heißt Brittische Verfassung,
und verdient allein, Verfassung zu heißen an
allen Orten und in allen Ländern der Welt.

Jene politischen Vorurtheile, welche Mon-
tesquieu bewußt- und absichtslos durch seinen
Nahmen gewissermaßen geheiligt hat, sind,
nachdem sie das gehörige Unheil in der Welt
angerichtet haben, jetzt schon veraltet: es sind
junge Greise. -- Die Staatswissenschaften sind
über diese Periode des Uebermuthes schon hin-
weg, und nachdem die ganze Verfassungs-
kunst bankerott geworden, kehren wir allmählig

naͤher, als man glaubt. Daß in England eine
ſolche Theilung der Gewalten Statt finde, iſt
nicht wahr: dieſen albernen Gedanken haben
Stubengelehrte, und ſpaͤterhin, in ihre Fuß-
ſtapfen tretend, der große Haufe der Brittiſchen
Verfaſſung untergelegt. Die Macht iſt nicht
getheilt, ſondern die uralten Gegenſaͤtze in der
buͤrgerlichen Geſellſchaft, aus deren Wechſelwir-
kung alle wahre und einfache Macht erſt ent-
ſpringt, ſind in England geſchont, geheiligt,
und bekraͤftigt durch Zeit und treues Beharren
der Nation: das heißt Brittiſche Verfaſſung,
und verdient allein, Verfaſſung zu heißen an
allen Orten und in allen Laͤndern der Welt.

Jene politiſchen Vorurtheile, welche Mon-
tesquieu bewußt- und abſichtslos durch ſeinen
Nahmen gewiſſermaßen geheiligt hat, ſind,
nachdem ſie das gehoͤrige Unheil in der Welt
angerichtet haben, jetzt ſchon veraltet: es ſind
junge Greiſe. — Die Staatswiſſenſchaften ſind
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[XIX/0025] naͤher, als man glaubt. Daß in England eine ſolche Theilung der Gewalten Statt finde, iſt nicht wahr: dieſen albernen Gedanken haben Stubengelehrte, und ſpaͤterhin, in ihre Fuß- ſtapfen tretend, der große Haufe der Brittiſchen Verfaſſung untergelegt. Die Macht iſt nicht getheilt, ſondern die uralten Gegenſaͤtze in der buͤrgerlichen Geſellſchaft, aus deren Wechſelwir- kung alle wahre und einfache Macht erſt ent- ſpringt, ſind in England geſchont, geheiligt, und bekraͤftigt durch Zeit und treues Beharren der Nation: das heißt Brittiſche Verfaſſung, und verdient allein, Verfaſſung zu heißen an allen Orten und in allen Laͤndern der Welt. Jene politiſchen Vorurtheile, welche Mon- tesquieu bewußt- und abſichtslos durch ſeinen Nahmen gewiſſermaßen geheiligt hat, ſind, nachdem ſie das gehoͤrige Unheil in der Welt angerichtet haben, jetzt ſchon veraltet: es ſind junge Greiſe. — Die Staatswiſſenſchaften ſind uͤber dieſe Periode des Uebermuthes ſchon hin- weg, und nachdem die ganze Verfaſſungs- kunſt bankerott geworden, kehren wir allmaͤhlig

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/25>, abgerufen am 29.03.2024.