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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Einleitung
genstand der Darstellung, Kunstidee im obigen Sinne,
zu sein, da diese (§. 7.) eine ganz besondere Vorstellung
2und Empfindung ist. Im Gegentheil befindet sich auch
die Schönheit, auf den höchsten Punkt geführt, im Ge-
gensatze mit jedem Bestreben etwas Besonderes darzustellen.

2. Daher der tiefe Ausspruch Winckelmanns (vii. S. 76.),
daß die völlige Schönheit unbezeichnend sein müsse, gleich dem
reinsten Wasser. Streit, ob das Charakteristische, Bedeu-
tende, oder Schöne Prinzip der Kunst. Eine durchgängige
Aufhebung der Schönheit und Gesetzmäßigkeit durch grelle Charakte-
risirung ist Carricatur. Eine theilweise, im Ganzen zurück-
geführte Aufhebung (Dissonanz, Arrhythmie, scheinbare Verhält-
nißwidrigkeit in der Architektur) dagegen ein wichtiges Mittel dar-
zustellen.

14. Als entgegengesetzte Punkte in der Reihe von
Empfindungen, die man durch das Schöne bezeichnet,
kann man das Erhabene und Anmuthige betrachten,
wovon jenes der Seele eine bis an die Gränzen ihrer
Kraft gesteigerte Energie der Empfindungen zumuthet,
dieses sie von selbst, ohne Steigerung ihrer Kraft, in ei-
nen Kreis wohlthätiger Empfindungen hineinzieht.

15. Es liegt im Begriffe eines Kunstwerks als einer
innigen Verbindung einer Kunstidee mit äußeren Formen,
daß es eine Einheit haben muß, auf welche Alles im
Kunstwerke sich zurückbezieht, und durch welche die ver-
schiedenen, successiv oder nebeneinander existirenden, Theile
so zusammengehalten werden, daß der eine den andern
gleichsam fordert und nothwendig macht. Das Kunst-
werk muß ein Eines und Ganzes sein.


3. Eintheilung der Kunst.

116. Die Eintheilung der Kunst wird besonders durch
die Beschaffenheit der Formen gegeben, durch welche
2sie darstellt: obgleich nicht zu zweifeln ist, daß auch die

Einleitung
genſtand der Darſtellung, Kunſtidee im obigen Sinne,
zu ſein, da dieſe (§. 7.) eine ganz beſondere Vorſtellung
2und Empfindung iſt. Im Gegentheil befindet ſich auch
die Schoͤnheit, auf den hoͤchſten Punkt gefuͤhrt, im Ge-
genſatze mit jedem Beſtreben etwas Beſonderes darzuſtellen.

2. Daher der tiefe Ausſpruch Winckelmanns (vii. S. 76.),
daß die völlige Schönheit unbezeichnend ſein müſſe, gleich dem
reinſten Waſſer. Streit, ob das Charakteriſtiſche, Bedeu-
tende, oder Schöne Prinzip der Kunſt. Eine durchgängige
Aufhebung der Schönheit und Geſetzmäßigkeit durch grelle Charakte-
riſirung iſt Carricatur. Eine theilweiſe, im Ganzen zurück-
geführte Aufhebung (Diſſonanz, Arrhythmie, ſcheinbare Verhält-
nißwidrigkeit in der Architektur) dagegen ein wichtiges Mittel dar-
zuſtellen.

14. Als entgegengeſetzte Punkte in der Reihe von
Empfindungen, die man durch das Schoͤne bezeichnet,
kann man das Erhabene und Anmuthige betrachten,
wovon jenes der Seele eine bis an die Graͤnzen ihrer
Kraft geſteigerte Energie der Empfindungen zumuthet,
dieſes ſie von ſelbſt, ohne Steigerung ihrer Kraft, in ei-
nen Kreis wohlthaͤtiger Empfindungen hineinzieht.

15. Es liegt im Begriffe eines Kunſtwerks als einer
innigen Verbindung einer Kunſtidee mit aͤußeren Formen,
daß es eine Einheit haben muß, auf welche Alles im
Kunſtwerke ſich zuruͤckbezieht, und durch welche die ver-
ſchiedenen, ſucceſſiv oder nebeneinander exiſtirenden, Theile
ſo zuſammengehalten werden, daß der eine den andern
gleichſam fordert und nothwendig macht. Das Kunſt-
werk muß ein Eines und Ganzes ſein.


3. Eintheilung der Kunſt.

116. Die Eintheilung der Kunſt wird beſonders durch
die Beſchaffenheit der Formen gegeben, durch welche
2ſie darſtellt: obgleich nicht zu zweifeln iſt, daß auch die

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[6/0028] Einleitung genſtand der Darſtellung, Kunſtidee im obigen Sinne, zu ſein, da dieſe (§. 7.) eine ganz beſondere Vorſtellung und Empfindung iſt. Im Gegentheil befindet ſich auch die Schoͤnheit, auf den hoͤchſten Punkt gefuͤhrt, im Ge- genſatze mit jedem Beſtreben etwas Beſonderes darzuſtellen. 2 2. Daher der tiefe Ausſpruch Winckelmanns (vii. S. 76.), daß die völlige Schönheit unbezeichnend ſein müſſe, gleich dem reinſten Waſſer. Streit, ob das Charakteriſtiſche, Bedeu- tende, oder Schöne Prinzip der Kunſt. Eine durchgängige Aufhebung der Schönheit und Geſetzmäßigkeit durch grelle Charakte- riſirung iſt Carricatur. Eine theilweiſe, im Ganzen zurück- geführte Aufhebung (Diſſonanz, Arrhythmie, ſcheinbare Verhält- nißwidrigkeit in der Architektur) dagegen ein wichtiges Mittel dar- zuſtellen. 14. Als entgegengeſetzte Punkte in der Reihe von Empfindungen, die man durch das Schoͤne bezeichnet, kann man das Erhabene und Anmuthige betrachten, wovon jenes der Seele eine bis an die Graͤnzen ihrer Kraft geſteigerte Energie der Empfindungen zumuthet, dieſes ſie von ſelbſt, ohne Steigerung ihrer Kraft, in ei- nen Kreis wohlthaͤtiger Empfindungen hineinzieht. 15. Es liegt im Begriffe eines Kunſtwerks als einer innigen Verbindung einer Kunſtidee mit aͤußeren Formen, daß es eine Einheit haben muß, auf welche Alles im Kunſtwerke ſich zuruͤckbezieht, und durch welche die ver- ſchiedenen, ſucceſſiv oder nebeneinander exiſtirenden, Theile ſo zuſammengehalten werden, daß der eine den andern gleichſam fordert und nothwendig macht. Das Kunſt- werk muß ein Eines und Ganzes ſein. 3. Eintheilung der Kunſt. 16. Die Eintheilung der Kunſt wird beſonders durch die Beſchaffenheit der Formen gegeben, durch welche ſie darſtellt: obgleich nicht zu zweifeln iſt, daß auch die 1 2

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/28>, abgerufen am 29.03.2024.