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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Zur Theorie der Kunst.

5. Der Schöpfung oder phantasievollen Auffassung der
Kunstform schließt sich als eine untergeordnete aber doch
mit jener eng verwebte Thätigkeit die Darstellung der
Form im Stoffe an, welche wir die Ausführung
nennen.

Des Tones, den das innere Ohr zu vernehmen glaubt, im
Gesange oder durch Instrumente, der organischen Form in Stein
oder durch Farben. Je weniger die Kunstthätigkeit entwickelt ist, um
desto mehr liegen diese Handlungen zusammen, und das Bilden im
Stoffe scheint das erste, ursprüngliche zu sein.


6. Das Innere oder Dargestellte in der Kunst,
das geistige Leben, dessen entsprechender und befriedigen-
der Ausdruck die Kunstform ist, die Seele dieses Körpers,
nennen wir die Kunstidee; wir verstehen darunter ganz
allgemein die Stimmung und Thätigkeit des Geistes, aus
welcher die Auffassung der bestimmten Form hervorgeht,
soweit sie von dieser Auffassung selbst unterscheidbar ist.

Auch ein der Natur nachgebildetes Kunstwerk hat doch sein in-
neres Leben in der Kunstidee.

7. Die Kunstidee ist niemals ein Begriff, indem
der Begriff ein Fach ist, in welches verschiedene Erschei-
nungen hineinpassen, die Kunstidee aber mit der ganz be-
sondern Form des Kunstwerks in der innigsten Ueberein-
stimmung stehen (§. 3.), also selbst ein ganz Besonderes
sein muß, daher sie auch nicht sprachlich auf eine genü-
gende Weise ausgedrückt werden kann.

Sie hat keinen Ausdruck als das Kunstwerk selbst. Darstel-
lungen
von Begriffen in der Kunst (Wahrheit) sind nur scheinbar.
Die Allegorie, welche Begriffe durch äußere Gestalten mit dem
Bewußtsein ihrer Verschiedenheit andeutet, ist ein Spiel des Ver-
standes, welches nicht im Kreis der eigentlichen Kunstthätigkeit liegt.

8. Vielmehr ist die Kunstidee eine Vorstellung dunk-1
ler Art, welche durch Begriffe sich nicht vollkommen fas-

1*
Zur Theorie der Kunſt.

5. Der Schoͤpfung oder phantaſievollen Auffaſſung der
Kunſtform ſchließt ſich als eine untergeordnete aber doch
mit jener eng verwebte Thaͤtigkeit die Darſtellung der
Form im Stoffe an, welche wir die Ausfuͤhrung
nennen.

Des Tones, den das innere Ohr zu vernehmen glaubt, im
Geſange oder durch Inſtrumente, der organiſchen Form in Stein
oder durch Farben. Je weniger die Kunſtthätigkeit entwickelt iſt, um
deſto mehr liegen dieſe Handlungen zuſammen, und das Bilden im
Stoffe ſcheint das erſte, urſprüngliche zu ſein.


6. Das Innere oder Dargeſtellte in der Kunſt,
das geiſtige Leben, deſſen entſprechender und befriedigen-
der Ausdruck die Kunſtform iſt, die Seele dieſes Koͤrpers,
nennen wir die Kunſtidee; wir verſtehen darunter ganz
allgemein die Stimmung und Thaͤtigkeit des Geiſtes, aus
welcher die Auffaſſung der beſtimmten Form hervorgeht,
ſoweit ſie von dieſer Auffaſſung ſelbſt unterſcheidbar iſt.

Auch ein der Natur nachgebildetes Kunſtwerk hat doch ſein in-
neres Leben in der Kunſtidee.

7. Die Kunſtidee iſt niemals ein Begriff, indem
der Begriff ein Fach iſt, in welches verſchiedene Erſchei-
nungen hineinpaſſen, die Kunſtidee aber mit der ganz be-
ſondern Form des Kunſtwerks in der innigſten Ueberein-
ſtimmung ſtehen (§. 3.), alſo ſelbſt ein ganz Beſonderes
ſein muß, daher ſie auch nicht ſprachlich auf eine genuͤ-
gende Weiſe ausgedruͤckt werden kann.

Sie hat keinen Ausdruck als das Kunſtwerk ſelbſt. Darſtel-
lungen
von Begriffen in der Kunſt (Wahrheit) ſind nur ſcheinbar.
Die Allegorie, welche Begriffe durch äußere Geſtalten mit dem
Bewußtſein ihrer Verſchiedenheit andeutet, iſt ein Spiel des Ver-
ſtandes, welches nicht im Kreis der eigentlichen Kunſtthätigkeit liegt.

8. Vielmehr iſt die Kunſtidee eine Vorſtellung dunk-1
ler Art, welche durch Begriffe ſich nicht vollkommen faſ-

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[3/0025] Zur Theorie der Kunſt. 5. Der Schoͤpfung oder phantaſievollen Auffaſſung der Kunſtform ſchließt ſich als eine untergeordnete aber doch mit jener eng verwebte Thaͤtigkeit die Darſtellung der Form im Stoffe an, welche wir die Ausfuͤhrung nennen. Des Tones, den das innere Ohr zu vernehmen glaubt, im Geſange oder durch Inſtrumente, der organiſchen Form in Stein oder durch Farben. Je weniger die Kunſtthätigkeit entwickelt iſt, um deſto mehr liegen dieſe Handlungen zuſammen, und das Bilden im Stoffe ſcheint das erſte, urſprüngliche zu ſein. 6. Das Innere oder Dargeſtellte in der Kunſt, das geiſtige Leben, deſſen entſprechender und befriedigen- der Ausdruck die Kunſtform iſt, die Seele dieſes Koͤrpers, nennen wir die Kunſtidee; wir verſtehen darunter ganz allgemein die Stimmung und Thaͤtigkeit des Geiſtes, aus welcher die Auffaſſung der beſtimmten Form hervorgeht, ſoweit ſie von dieſer Auffaſſung ſelbſt unterſcheidbar iſt. Auch ein der Natur nachgebildetes Kunſtwerk hat doch ſein in- neres Leben in der Kunſtidee. 7. Die Kunſtidee iſt niemals ein Begriff, indem der Begriff ein Fach iſt, in welches verſchiedene Erſchei- nungen hineinpaſſen, die Kunſtidee aber mit der ganz be- ſondern Form des Kunſtwerks in der innigſten Ueberein- ſtimmung ſtehen (§. 3.), alſo ſelbſt ein ganz Beſonderes ſein muß, daher ſie auch nicht ſprachlich auf eine genuͤ- gende Weiſe ausgedruͤckt werden kann. Sie hat keinen Ausdruck als das Kunſtwerk ſelbſt. Darſtel- lungen von Begriffen in der Kunſt (Wahrheit) ſind nur ſcheinbar. Die Allegorie, welche Begriffe durch äußere Geſtalten mit dem Bewußtſein ihrer Verſchiedenheit andeutet, iſt ein Spiel des Ver- ſtandes, welches nicht im Kreis der eigentlichen Kunſtthätigkeit liegt. 8. Vielmehr iſt die Kunſtidee eine Vorſtellung dunk- ler Art, welche durch Begriffe ſich nicht vollkommen faſ- 1 1*

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/25>, abgerufen am 28.03.2024.