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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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eine förmlich gesetzliche Niedermetzelung, um so grauen-
voller, da sie von den unglücklichen Schlachtopfern vor-
aus gesehen werden konnte. Und doch hätte diese,
die in manchen Gegenden ganz für sich lebten, die
Verzweifelung nicht zu gemeinsamer Abwehr vereinigt,
und nicht alle Jahre einen blutigen Vernichtungskrieg
durch ganz Lakonika entzündet? In so unbegreifliche
Schwierigkeiten verwirren wir uns bei der gewöhnlichen
Vorstellungsweise: deren Lösung nach meiner Meinung
die Rede des Spartiaten Megillos in Platons Gesetzen
giebt 1, welcher dort die Abhärtung seiner Landsleute
rühmt. "Auch giebt es eine sogenannte Krupteia bei
uns, welche wunderbar mühselig zu ertragen ist, Unbe-
schuhtheit im Sturm, und Lagersentbehrung und Selbst-
bedienung ohne Knecht, wenn sie des Nachts und bei
Tage durch das ganze Land herumschweifen." Noch
deutlicher eine andere Stelle 2, wo der Philosoph an-
ordnet: in seinem Staate sollten sechzig Agronomen oder
Phylarchen jeder zwölf Jünglinge von 25 bis 30 Jah-
ren wählen, und diese als Wächter alle einzelnen Di-
strikte nach der Reihe durchziehen, um für die Befesti-
gung, den Wegbau, die öffentlichen Gebäude im Lande
zu sorgen, wozu sie sich der Sklaven frei bedienen
dürften. Dabei sollten sie selbst hart und kärglich le-
ben, keine Dienstleistung der Knechte und Ackerbauer
für sich begehren, aber ohne Rast das ganze Land Win-
ter und Sommer in Waffen durchstreifen. Man könne

1 1, 633 c. Von derselben Sache Justin 3, 3.: pueros
puberes non in forum, sed in agrum dednci praecepit, ut
primos annos non in luxuria, sed in opere et laboribus age-
rent, -- neque prius in urbem redire quam viri facti es-
sent.
Fast dasselbe, nur mit einigen Abweichungen, Schol. Plat.
Ges. 1, 225 Ruhnk.
2 6, 763 b. vgl. Barthelemy Anach.
T.
4. S. 461.

eine foͤrmlich geſetzliche Niedermetzelung, um ſo grauen-
voller, da ſie von den ungluͤcklichen Schlachtopfern vor-
aus geſehen werden konnte. Und doch haͤtte dieſe,
die in manchen Gegenden ganz fuͤr ſich lebten, die
Verzweifelung nicht zu gemeinſamer Abwehr vereinigt,
und nicht alle Jahre einen blutigen Vernichtungskrieg
durch ganz Lakonika entzuͤndet? In ſo unbegreifliche
Schwierigkeiten verwirren wir uns bei der gewoͤhnlichen
Vorſtellungsweiſe: deren Loͤſung nach meiner Meinung
die Rede des Spartiaten Megillos in Platons Geſetzen
giebt 1, welcher dort die Abhaͤrtung ſeiner Landsleute
ruͤhmt. “Auch giebt es eine ſogenannte Κρυπτεία bei
uns, welche wunderbar muͤhſelig zu ertragen iſt, Unbe-
ſchuhtheit im Sturm, und Lagersentbehrung und Selbſt-
bedienung ohne Knecht, wenn ſie des Nachts und bei
Tage durch das ganze Land herumſchweifen.” Noch
deutlicher eine andere Stelle 2, wo der Philoſoph an-
ordnet: in ſeinem Staate ſollten ſechzig Agronomen oder
Phylarchen jeder zwoͤlf Juͤnglinge von 25 bis 30 Jah-
ren waͤhlen, und dieſe als Waͤchter alle einzelnen Di-
ſtrikte nach der Reihe durchziehen, um fuͤr die Befeſti-
gung, den Wegbau, die oͤffentlichen Gebaͤude im Lande
zu ſorgen, wozu ſie ſich der Sklaven frei bedienen
duͤrften. Dabei ſollten ſie ſelbſt hart und kaͤrglich le-
ben, keine Dienſtleiſtung der Knechte und Ackerbauer
fuͤr ſich begehren, aber ohne Raſt das ganze Land Win-
ter und Sommer in Waffen durchſtreifen. Man koͤnne

1 1, 633 c. Von derſelben Sache Juſtin 3, 3.: pueros
puberes non in forum, sed in agrum dednci praecepit, ut
primos annos non in luxuria, sed in opere et laboribus age-
rent, — neque prius in urbem redire quam viri facti es-
sent.
Faſt daſſelbe, nur mit einigen Abweichungen, Schol. Plat.
Geſ. 1, 225 Ruhnk.
2 6, 763 b. vgl. Barthelemy Anach.
T.
4. S. 461.
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[43/0049] eine foͤrmlich geſetzliche Niedermetzelung, um ſo grauen- voller, da ſie von den ungluͤcklichen Schlachtopfern vor- aus geſehen werden konnte. Und doch haͤtte dieſe, die in manchen Gegenden ganz fuͤr ſich lebten, die Verzweifelung nicht zu gemeinſamer Abwehr vereinigt, und nicht alle Jahre einen blutigen Vernichtungskrieg durch ganz Lakonika entzuͤndet? In ſo unbegreifliche Schwierigkeiten verwirren wir uns bei der gewoͤhnlichen Vorſtellungsweiſe: deren Loͤſung nach meiner Meinung die Rede des Spartiaten Megillos in Platons Geſetzen giebt 1, welcher dort die Abhaͤrtung ſeiner Landsleute ruͤhmt. “Auch giebt es eine ſogenannte Κρυπτεία bei uns, welche wunderbar muͤhſelig zu ertragen iſt, Unbe- ſchuhtheit im Sturm, und Lagersentbehrung und Selbſt- bedienung ohne Knecht, wenn ſie des Nachts und bei Tage durch das ganze Land herumſchweifen.” Noch deutlicher eine andere Stelle 2, wo der Philoſoph an- ordnet: in ſeinem Staate ſollten ſechzig Agronomen oder Phylarchen jeder zwoͤlf Juͤnglinge von 25 bis 30 Jah- ren waͤhlen, und dieſe als Waͤchter alle einzelnen Di- ſtrikte nach der Reihe durchziehen, um fuͤr die Befeſti- gung, den Wegbau, die oͤffentlichen Gebaͤude im Lande zu ſorgen, wozu ſie ſich der Sklaven frei bedienen duͤrften. Dabei ſollten ſie ſelbſt hart und kaͤrglich le- ben, keine Dienſtleiſtung der Knechte und Ackerbauer fuͤr ſich begehren, aber ohne Raſt das ganze Land Win- ter und Sommer in Waffen durchſtreifen. Man koͤnne 1 1, 633 c. Von derſelben Sache Juſtin 3, 3.: pueros puberes non in forum, sed in agrum dednci praecepit, ut primos annos non in luxuria, sed in opere et laboribus age- rent, — neque prius in urbem redire quam viri facti es- sent. Faſt daſſelbe, nur mit einigen Abweichungen, Schol. Plat. Geſ. 1, 225 Ruhnk. 2 6, 763 b. vgl. Barthelemy Anach. T. 4. S. 461.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/49>, abgerufen am 28.03.2024.