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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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war er es vielleicht nirgends so sehr als bei den Doriern,
deren nationale Ansicht vom Staatsleben in der Ver-
fassung Sparta's am schärfsten ausgesprochen ist. Hier
bestimmt die Einheit die Vielheit der Persönlichkeiten
am durchgreifendsten, und darum ist hier das Leben
in seinen meisten Kreisen ein öffentliches und gemeinsa-
mes. Die hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hel-
lenen überhaupt war eben nichts als ein lebendiges
Glied des Ganzen zu sein, während was man in neuerer
Zeit gewöhnlich Freiheit nennt, darin besteht, vom ge-
meinen Wesen möglichst wenig in Anspruch genommen
zu werden; oder mit andern Worten: den Staat nach
seinem Theile möglichst aufzulösen. Der Dorier suchte
im Staate den kosmos, die Einigung des Mannig-
faltigen. Es ist ein Grundgedanke dieses Volkstammes,
den König Archidamos bei Thukydides ausspricht 1:
"Das ist das schönste und das beständigste, daß die
Vielheit einem Kosmos dienend sich zeige." Und dar-
um feiern die Spartiaten den Lykurgos so sehr, weil
er den bestehenden Kosmos eingerichtet 2, und nannten
ehrend den Sohn desselben Eukosmos 3. Auch hieß
deswegen bei den Kretern der höchste Magistrat Kos-
mos, bei den Epizephyrischen Lokrern Kosmopolis. So
bezeichnet dieses prägnante Wort wie der Dorischen
Musik und Philosophie (des Pythagoreismus), so des
Dorischen Staats innersten Geist.

Mit diesem Streben nach strenger Einheit ist noth-
wendig das nach Beständigkeit verbunden. Denn
ist eine solche Einheit einmal Zustand geworden, so
sucht man das sie störende zu entfernen, und erstickt
dadurch den Samen zu Umwälzungen: obgleich freilich

1 2, 11.
2 Herod, 1, 65.
3 Paus. 3, 16, 5.
Vgl. oben Bd. 2. S. 63, 1.

war er es vielleicht nirgends ſo ſehr als bei den Doriern,
deren nationale Anſicht vom Staatsleben in der Ver-
faſſung Sparta’s am ſchaͤrfſten ausgeſprochen iſt. Hier
beſtimmt die Einheit die Vielheit der Perſoͤnlichkeiten
am durchgreifendſten, und darum iſt hier das Leben
in ſeinen meiſten Kreiſen ein oͤffentliches und gemeinſa-
mes. Die hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hel-
lenen uͤberhaupt war eben nichts als ein lebendiges
Glied des Ganzen zu ſein, waͤhrend was man in neuerer
Zeit gewoͤhnlich Freiheit nennt, darin beſteht, vom ge-
meinen Weſen moͤglichſt wenig in Anſpruch genommen
zu werden; oder mit andern Worten: den Staat nach
ſeinem Theile moͤglichſt aufzuloͤſen. Der Dorier ſuchte
im Staate den κόσμος, die Einigung des Mannig-
faltigen. Es iſt ein Grundgedanke dieſes Volkſtammes,
den Koͤnig Archidamos bei Thukydides ausſpricht 1:
“Das iſt das ſchoͤnſte und das beſtaͤndigſte, daß die
Vielheit einem Κόσμος dienend ſich zeige.” Und dar-
um feiern die Spartiaten den Lykurgos ſo ſehr, weil
er den beſtehenden Kosmos eingerichtet 2, und nannten
ehrend den Sohn deſſelben Eukosmos 3. Auch hieß
deswegen bei den Kretern der hoͤchſte Magiſtrat Kos-
mos, bei den Epizephyriſchen Lokrern Kosmopolis. So
bezeichnet dieſes praͤgnante Wort wie der Doriſchen
Muſik und Philoſophie (des Pythagoreismus), ſo des
Doriſchen Staats innerſten Geiſt.

Mit dieſem Streben nach ſtrenger Einheit iſt noth-
wendig das nach Beſtaͤndigkeit verbunden. Denn
iſt eine ſolche Einheit einmal Zuſtand geworden, ſo
ſucht man das ſie ſtoͤrende zu entfernen, und erſtickt
dadurch den Samen zu Umwaͤlzungen: obgleich freilich

1 2, 11.
2 Herod, 1, 65.
3 Pauſ. 3, 16, 5.
Vgl. oben Bd. 2. S. 63, 1.
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[6/0012] war er es vielleicht nirgends ſo ſehr als bei den Doriern, deren nationale Anſicht vom Staatsleben in der Ver- faſſung Sparta’s am ſchaͤrfſten ausgeſprochen iſt. Hier beſtimmt die Einheit die Vielheit der Perſoͤnlichkeiten am durchgreifendſten, und darum iſt hier das Leben in ſeinen meiſten Kreiſen ein oͤffentliches und gemeinſa- mes. Die hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hel- lenen uͤberhaupt war eben nichts als ein lebendiges Glied des Ganzen zu ſein, waͤhrend was man in neuerer Zeit gewoͤhnlich Freiheit nennt, darin beſteht, vom ge- meinen Weſen moͤglichſt wenig in Anſpruch genommen zu werden; oder mit andern Worten: den Staat nach ſeinem Theile moͤglichſt aufzuloͤſen. Der Dorier ſuchte im Staate den κόσμος, die Einigung des Mannig- faltigen. Es iſt ein Grundgedanke dieſes Volkſtammes, den Koͤnig Archidamos bei Thukydides ausſpricht 1: “Das iſt das ſchoͤnſte und das beſtaͤndigſte, daß die Vielheit einem Κόσμος dienend ſich zeige.” Und dar- um feiern die Spartiaten den Lykurgos ſo ſehr, weil er den beſtehenden Kosmos eingerichtet 2, und nannten ehrend den Sohn deſſelben Eukosmos 3. Auch hieß deswegen bei den Kretern der hoͤchſte Magiſtrat Kos- mos, bei den Epizephyriſchen Lokrern Kosmopolis. So bezeichnet dieſes praͤgnante Wort wie der Doriſchen Muſik und Philoſophie (des Pythagoreismus), ſo des Doriſchen Staats innerſten Geiſt. Mit dieſem Streben nach ſtrenger Einheit iſt noth- wendig das nach Beſtaͤndigkeit verbunden. Denn iſt eine ſolche Einheit einmal Zuſtand geworden, ſo ſucht man das ſie ſtoͤrende zu entfernen, und erſtickt dadurch den Samen zu Umwaͤlzungen: obgleich freilich 1 2, 11. 2 Herod, 1, 65. 3 Pauſ. 3, 16, 5. Vgl. oben Bd. 2. S. 63, 1.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/12>, abgerufen am 19.04.2024.