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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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wegen Undurchsichtigkeit der Medien des Auges, das Ge-
sicht, durch Operation erlangte? über den Unterschied sei-
ner Träume während und nach seiner Blindheit? u. a. Das
wäre wahrhaftig besser, als jene kurzsichtigen Fragen vom
Verkehrt- oder Geradesehen, durch die wir nichts als unsere
Vorurtheile zu bestätigen wünschen!

60.

Höchst wichtig sind denn auch die wenigen Beobachtun-
gen, welche von Blinden vorhanden sind, die im Zustand
des Irrseyns subjective Gesichtserscheinungen hatten. Die
Erfahrungen, welche ich meine, sind von Esquirol.

Esquirol behandelte einen Geschäfismann, der nach
einem sehr thätigen Leben im 41. Jahre des Lebens vom
schwarzen Staar befallen wurde. Einige Jahre darauf wur-
de er Maniacus, er war sehr aufgeregt, sprach laut mit
Personen, die er zu hören, zu sehen glaubte, er sah die
sonderbarsten Dinge, oft versetzten ihn seine Gesichte in
das lebhafteste Entzücken.

61.

In der Salpetriere war im Jahr 1816 eine Jüdinn von
38 Jahren; sie war blind und tobsüchtig, sie sah die fremd-
artigsten Dinge, Personen aus ihrer Bekanntschaft; sie
starb plötzlich. Esquirol fand die Sehnerven atrophisch
vom Chiasma bis zum Eintritt derselben ins Auge.

Dictionaire des Scienccs medicales. Hallucinations.

62.

Diese Beobachtungen sind Goldkörner. Im Wahnsinn
findet noch eine Erregung der innersten Theile der Sehsinn-
substanz statt, deren Extremität für die Einwirkung ihres
äußern Reizes gelähmt ist. Die Fortsetzungen der Sehner-
ven von Chiasma bis zu ihren Ursprungsstellen im Gehirn

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wegen Undurchſichtigkeit der Medien des Auges, das Ge-
ſicht, durch Operation erlangte? uͤber den Unterſchied ſei-
ner Traͤume waͤhrend und nach ſeiner Blindheit? u. a. Das
waͤre wahrhaftig beſſer, als jene kurzſichtigen Fragen vom
Verkehrt- oder Geradeſehen, durch die wir nichts als unſere
Vorurtheile zu beſtaͤtigen wuͤnſchen!

60.

Hoͤchſt wichtig ſind denn auch die wenigen Beobachtun-
gen, welche von Blinden vorhanden ſind, die im Zuſtand
des Irrſeyns ſubjective Geſichtserſcheinungen hatten. Die
Erfahrungen, welche ich meine, ſind von Esquirol.

Esquirol behandelte einen Geſchaͤfismann, der nach
einem ſehr thaͤtigen Leben im 41. Jahre des Lebens vom
ſchwarzen Staar befallen wurde. Einige Jahre darauf wur-
de er Maniacus, er war ſehr aufgeregt, ſprach laut mit
Perſonen, die er zu hoͤren, zu ſehen glaubte, er ſah die
ſonderbarſten Dinge, oft verſetzten ihn ſeine Geſichte in
das lebhafteſte Entzuͤcken.

61.

In der Salpetriere war im Jahr 1816 eine Juͤdinn von
38 Jahren; ſie war blind und tobſuͤchtig, ſie ſah die fremd-
artigſten Dinge, Perſonen aus ihrer Bekanntſchaft; ſie
ſtarb ploͤtzlich. Esquirol fand die Sehnerven atrophiſch
vom Chiasma bis zum Eintritt derſelben ins Auge.

Dictionaire des Scienccs medicales. Hallucinations.

62.

Dieſe Beobachtungen ſind Goldkoͤrner. Im Wahnſinn
findet noch eine Erregung der innerſten Theile der Sehſinn-
ſubſtanz ſtatt, deren Extremitaͤt fuͤr die Einwirkung ihres
aͤußern Reizes gelaͤhmt iſt. Die Fortſetzungen der Sehner-
ven von Chiasma bis zu ihren Urſprungsſtellen im Gehirn

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[33/0049] wegen Undurchſichtigkeit der Medien des Auges, das Ge- ſicht, durch Operation erlangte? uͤber den Unterſchied ſei- ner Traͤume waͤhrend und nach ſeiner Blindheit? u. a. Das waͤre wahrhaftig beſſer, als jene kurzſichtigen Fragen vom Verkehrt- oder Geradeſehen, durch die wir nichts als unſere Vorurtheile zu beſtaͤtigen wuͤnſchen! 60. Hoͤchſt wichtig ſind denn auch die wenigen Beobachtun- gen, welche von Blinden vorhanden ſind, die im Zuſtand des Irrſeyns ſubjective Geſichtserſcheinungen hatten. Die Erfahrungen, welche ich meine, ſind von Esquirol. Esquirol behandelte einen Geſchaͤfismann, der nach einem ſehr thaͤtigen Leben im 41. Jahre des Lebens vom ſchwarzen Staar befallen wurde. Einige Jahre darauf wur- de er Maniacus, er war ſehr aufgeregt, ſprach laut mit Perſonen, die er zu hoͤren, zu ſehen glaubte, er ſah die ſonderbarſten Dinge, oft verſetzten ihn ſeine Geſichte in das lebhafteſte Entzuͤcken. 61. In der Salpetriere war im Jahr 1816 eine Juͤdinn von 38 Jahren; ſie war blind und tobſuͤchtig, ſie ſah die fremd- artigſten Dinge, Perſonen aus ihrer Bekanntſchaft; ſie ſtarb ploͤtzlich. Esquirol fand die Sehnerven atrophiſch vom Chiasma bis zum Eintritt derſelben ins Auge. Dictionaire des Scienccs medicales. Hallucinations. 62. Dieſe Beobachtungen ſind Goldkoͤrner. Im Wahnſinn findet noch eine Erregung der innerſten Theile der Sehſinn- ſubſtanz ſtatt, deren Extremitaͤt fuͤr die Einwirkung ihres aͤußern Reizes gelaͤhmt iſt. Die Fortſetzungen der Sehner- ven von Chiasma bis zu ihren Urſprungsſtellen im Gehirn 3

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/49>, abgerufen am 28.03.2024.