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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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55.

"Was die Traumbilder der Blinden betrifft, so glau-
ben sie im Schlafe bald zu sehen, bald sind sie sich ihrer
Blindheit bewußt. Ich sagte Traumbilder, weil ja auch
Wachbilder nicht bloß bei Blinden, sondern auch bei Se-
henden statt finden, jenes Verlorenseyn im Schauen, unab-
hängig vom Aeussern, jenes Zerstreutseyn in Bezug auf die
Aussenwelt, aber Gesammeltseyn in Hinsicht auf die In-
nenwelt. Bei zweien meiner Zöglinge, jetzt Mitlehrern der
Anstalt, Engel nnd Grothe sind diese gaukelnden Wach-
bilder abhängig vom Wetter. Bei heiterer Luft haben sie
angenehme Erscheinungen, bei trübem Wetter aber verwor-
rene Gestalten. Diese Wandelbilder sind ihre Wetterver-
kündiger." Belisar. S. 25.

56.

Ebenso wichtig ist der Bericht des blinden Prof. Bacz-
ko
in Königsberg über sich selbst. "Er war 22 Jahr alt,
als er erblindete, hatte sich viel mit Malen, Modelliren
und andern Kunstarbeiten beschäftigt, und seine Phantasie
war sehr lebhaft, so daß er selbst dadurch die Abweichung
bei sich erklärt, daß er sichtbare Bilder zurückbehalten hat,
im Traume sieht. Baczko erzählt auch, daß der bekannte
blinde Flötenspieler Dulon, der in den ersten Tagen sei-
nes Lebens erblindete und daher beinahe einem Blindgebor-
nen gleich zu achten war, ihm erzählt habe, daß er zuweilen
in seinem Träumen gräßliche verzerrte Gestalten, allein
immer nur dieselben sehe." Aus einem handschriftlichen
Aufsatze von Prof. Baczko über die Träume der Blinden
in Rudolphi's Physiologie 2. B. S. 283, dessen vollstän-
dige Bekanntmachung gewiß allgemeiner Wunsch seyn muß.

57.

In der Berliner Monatsschrift von Biester. 1800

55.

»Was die Traumbilder der Blinden betrifft, ſo glau-
ben ſie im Schlafe bald zu ſehen, bald ſind ſie ſich ihrer
Blindheit bewußt. Ich ſagte Traumbilder, weil ja auch
Wachbilder nicht bloß bei Blinden, ſondern auch bei Se-
henden ſtatt finden, jenes Verlorenſeyn im Schauen, unab-
haͤngig vom Aeuſſern, jenes Zerſtreutſeyn in Bezug auf die
Auſſenwelt, aber Geſammeltſeyn in Hinſicht auf die In-
nenwelt. Bei zweien meiner Zoͤglinge, jetzt Mitlehrern der
Anſtalt, Engel nnd Grothe ſind dieſe gaukelnden Wach-
bilder abhaͤngig vom Wetter. Bei heiterer Luft haben ſie
angenehme Erſcheinungen, bei truͤbem Wetter aber verwor-
rene Geſtalten. Dieſe Wandelbilder ſind ihre Wetterver-
kuͤndiger.« Beliſar. S. 25.

56.

Ebenſo wichtig iſt der Bericht des blinden Prof. Bacz-
ko
in Koͤnigsberg uͤber ſich ſelbſt. »Er war 22 Jahr alt,
als er erblindete, hatte ſich viel mit Malen, Modelliren
und andern Kunſtarbeiten beſchaͤftigt, und ſeine Phantaſie
war ſehr lebhaft, ſo daß er ſelbſt dadurch die Abweichung
bei ſich erklaͤrt, daß er ſichtbare Bilder zuruͤckbehalten hat,
im Traume ſieht. Baczko erzaͤhlt auch, daß der bekannte
blinde Floͤtenſpieler Dulon, der in den erſten Tagen ſei-
nes Lebens erblindete und daher beinahe einem Blindgebor-
nen gleich zu achten war, ihm erzaͤhlt habe, daß er zuweilen
in ſeinem Traͤumen graͤßliche verzerrte Geſtalten, allein
immer nur dieſelben ſehe.« Aus einem handſchriftlichen
Aufſatze von Prof. Baczko uͤber die Traͤume der Blinden
in Rudolphi’s Phyſiologie 2. B. S. 283, deſſen vollſtaͤn-
dige Bekanntmachung gewiß allgemeiner Wunſch ſeyn muß.

57.

In der Berliner Monatsſchrift von Bieſter. 1800

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[31/0047] 55. »Was die Traumbilder der Blinden betrifft, ſo glau- ben ſie im Schlafe bald zu ſehen, bald ſind ſie ſich ihrer Blindheit bewußt. Ich ſagte Traumbilder, weil ja auch Wachbilder nicht bloß bei Blinden, ſondern auch bei Se- henden ſtatt finden, jenes Verlorenſeyn im Schauen, unab- haͤngig vom Aeuſſern, jenes Zerſtreutſeyn in Bezug auf die Auſſenwelt, aber Geſammeltſeyn in Hinſicht auf die In- nenwelt. Bei zweien meiner Zoͤglinge, jetzt Mitlehrern der Anſtalt, Engel nnd Grothe ſind dieſe gaukelnden Wach- bilder abhaͤngig vom Wetter. Bei heiterer Luft haben ſie angenehme Erſcheinungen, bei truͤbem Wetter aber verwor- rene Geſtalten. Dieſe Wandelbilder ſind ihre Wetterver- kuͤndiger.« Beliſar. S. 25. 56. Ebenſo wichtig iſt der Bericht des blinden Prof. Bacz- ko in Koͤnigsberg uͤber ſich ſelbſt. »Er war 22 Jahr alt, als er erblindete, hatte ſich viel mit Malen, Modelliren und andern Kunſtarbeiten beſchaͤftigt, und ſeine Phantaſie war ſehr lebhaft, ſo daß er ſelbſt dadurch die Abweichung bei ſich erklaͤrt, daß er ſichtbare Bilder zuruͤckbehalten hat, im Traume ſieht. Baczko erzaͤhlt auch, daß der bekannte blinde Floͤtenſpieler Dulon, der in den erſten Tagen ſei- nes Lebens erblindete und daher beinahe einem Blindgebor- nen gleich zu achten war, ihm erzaͤhlt habe, daß er zuweilen in ſeinem Traͤumen graͤßliche verzerrte Geſtalten, allein immer nur dieſelben ſehe.« Aus einem handſchriftlichen Aufſatze von Prof. Baczko uͤber die Traͤume der Blinden in Rudolphi’s Phyſiologie 2. B. S. 283, deſſen vollſtaͤn- dige Bekanntmachung gewiß allgemeiner Wunſch ſeyn muß. 57. In der Berliner Monatsſchrift von Bieſter. 1800

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/47>, abgerufen am 19.04.2024.