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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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urplötzlich, nicht aus Lichtflecken, sie selbst in scharfer Begren-
zung der Gestalt sind die Lichtflecken. In dem ganz dun-
keln Sehraume, in den ich voll Erwartung der kommenden
Erscheinung hineinstarre, stehen plötzlich Gebäude, Pflan-
zen da. Diese Bilder verschwinden ebenso schnell mit dem
Eintritt der Reflexion, die leichteste Bewegung der Augen
hebt sie auf. So flüchtig wie die phantastischen Vorstellungen
entstehen, verschwinden sie. Wenn daher auch aus Licht-
flecken Phantasmen entstehen, so verhalten sich die leuch-
tenden Meteore zu den aus ihnen entstehenden Phantas-
men doch nur, wie ein Phantasma zum andern, das sich
aus ihm hervorbildet.



VII. Der Ort der phantastischen Er-
scheinung
.
54.

In der Regel träumen die Blinden nicht von sichtbaren
Gegenständen. Man könnte aus dieser Erfahrung, auf
deren Wichtigkeit Darwin und in neuerer Zeit Gruit-
huisen
aufmerksam gemacht, schließen, die Sehsinnsubstanz
des Auges selbst, oder diejenige Extremität der Sehsinnsub-
stanz, welche zur Affection durch das Aeussere bestimmt ist,
sei auch das Organ, welchem die leuchtenden inneren Wach-
und Traumbilder eingebildet werden. Dem ist aber nicht
so. Die Erfahrung, daß der Blinde nicht mehr von sicht-
baren Dingen träume, daß also, wenn die Extremität seiner
Sehsinnsubstanz im Auge oder die Netzhant gelähmt ist, über-
haupt auch die Sehsinnsubstanz gelähmt sey, und alle Cinbil-
dung in dieselbe von innen aufhöre, ist keineswegs so allge-
mein, als es Darwin und Gruithuisen angeben. Hö-
ren wir darüber Zeune:


urploͤtzlich, nicht aus Lichtflecken, ſie ſelbſt in ſcharfer Begren-
zung der Geſtalt ſind die Lichtflecken. In dem ganz dun-
keln Sehraume, in den ich voll Erwartung der kommenden
Erſcheinung hineinſtarre, ſtehen ploͤtzlich Gebaͤude, Pflan-
zen da. Dieſe Bilder verſchwinden ebenſo ſchnell mit dem
Eintritt der Reflexion, die leichteſte Bewegung der Augen
hebt ſie auf. So fluͤchtig wie die phantaſtiſchen Vorſtellungen
entſtehen, verſchwinden ſie. Wenn daher auch aus Licht-
flecken Phantasmen entſtehen, ſo verhalten ſich die leuch-
tenden Meteore zu den aus ihnen entſtehenden Phantas-
men doch nur, wie ein Phantasma zum andern, das ſich
aus ihm hervorbildet.



VII. Der Ort der phantaſtiſchen Er-
ſcheinung
.
54.

In der Regel traͤumen die Blinden nicht von ſichtbaren
Gegenſtaͤnden. Man koͤnnte aus dieſer Erfahrung, auf
deren Wichtigkeit Darwin und in neuerer Zeit Gruit-
huiſen
aufmerkſam gemacht, ſchließen, die Sehſinnſubſtanz
des Auges ſelbſt, oder diejenige Extremitaͤt der Sehſinnſub-
ſtanz, welche zur Affection durch das Aeuſſere beſtimmt iſt,
ſei auch das Organ, welchem die leuchtenden inneren Wach-
und Traumbilder eingebildet werden. Dem iſt aber nicht
ſo. Die Erfahrung, daß der Blinde nicht mehr von ſicht-
baren Dingen traͤume, daß alſo, wenn die Extremitaͤt ſeiner
Sehſinnſubſtanz im Auge oder die Netzhant gelaͤhmt iſt, uͤber-
haupt auch die Sehſinnſubſtanz gelaͤhmt ſey, und alle Cinbil-
dung in dieſelbe von innen aufhoͤre, iſt keineswegs ſo allge-
mein, als es Darwin und Gruithuiſen angeben. Hoͤ-
ren wir daruͤber Zeune:


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[30/0046] urploͤtzlich, nicht aus Lichtflecken, ſie ſelbſt in ſcharfer Begren- zung der Geſtalt ſind die Lichtflecken. In dem ganz dun- keln Sehraume, in den ich voll Erwartung der kommenden Erſcheinung hineinſtarre, ſtehen ploͤtzlich Gebaͤude, Pflan- zen da. Dieſe Bilder verſchwinden ebenſo ſchnell mit dem Eintritt der Reflexion, die leichteſte Bewegung der Augen hebt ſie auf. So fluͤchtig wie die phantaſtiſchen Vorſtellungen entſtehen, verſchwinden ſie. Wenn daher auch aus Licht- flecken Phantasmen entſtehen, ſo verhalten ſich die leuch- tenden Meteore zu den aus ihnen entſtehenden Phantas- men doch nur, wie ein Phantasma zum andern, das ſich aus ihm hervorbildet. VII. Der Ort der phantaſtiſchen Er- ſcheinung. 54. In der Regel traͤumen die Blinden nicht von ſichtbaren Gegenſtaͤnden. Man koͤnnte aus dieſer Erfahrung, auf deren Wichtigkeit Darwin und in neuerer Zeit Gruit- huiſen aufmerkſam gemacht, ſchließen, die Sehſinnſubſtanz des Auges ſelbſt, oder diejenige Extremitaͤt der Sehſinnſub- ſtanz, welche zur Affection durch das Aeuſſere beſtimmt iſt, ſei auch das Organ, welchem die leuchtenden inneren Wach- und Traumbilder eingebildet werden. Dem iſt aber nicht ſo. Die Erfahrung, daß der Blinde nicht mehr von ſicht- baren Dingen traͤume, daß alſo, wenn die Extremitaͤt ſeiner Sehſinnſubſtanz im Auge oder die Netzhant gelaͤhmt iſt, uͤber- haupt auch die Sehſinnſubſtanz gelaͤhmt ſey, und alle Cinbil- dung in dieſelbe von innen aufhoͤre, iſt keineswegs ſo allge- mein, als es Darwin und Gruithuiſen angeben. Hoͤ- ren wir daruͤber Zeune:

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/46>, abgerufen am 29.03.2024.