Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

das zwar nicht eigentlich tauscht und commerziret, aber
nicht leben könnte ohne einen gewissen dunkeln Glauben
an die überschwengliche Nothwendigkeit und Ewigkeit des
Futters.

Der auf die große Thatsache des täglich wiederkehren-
den Hungers sich stützende Glaube des Menschen hat allen
anderen Glauben und jede höhere Neigung dergestalt ver-
zehrt, daß es wirklich, zumahl, wenn man die darauf er-
richteten ökonomischen Theorien betrachtet, das Ansehen hat,
als wäre das Verlangen der Sachen nach den Menschen viel
größer, als das der Menschen nach den Sachen, und als
verspeisten eigentlich die Sachen den Menschen, und nicht
dieser jene.

Aber von allen diesen Verirrungen eines tief gesunkenen
Geschlechts abgesehen: es ist wirklich ein Geist, ein gewalti-
ger Geist in den Sachen, den sie in der bürgerlichen Ge-
sellschaft und durch dieselbe erlangen. Dadurch, daß die ganze
bürgerliche Gesellschaft eine solche Sache begehrt, wird sie
erst für den Einzelnen so wichtig und so furchtbar, und so
ist denn der Irrthum begreiflich, daß, lange nachdem die
letzten Gefühle für das Gemeinwesen in dem Einzelnen er-
storben sind, er noch ein Gespenst desselben in den Sachen
ehren, fürchten und schonen muß.

So offenbart sich denn auch hier das große, oft erwähnte
Gleichgewicht der menschlichen Irrthümer: einerseits
werden die Sachen zu Götzen, zu Tyrannen des Menschen
erhoben; die Neigung des Pöbels und die fatalistischen

das zwar nicht eigentlich tauſcht und commerziret, aber
nicht leben koͤnnte ohne einen gewiſſen dunkeln Glauben
an die uͤberſchwengliche Nothwendigkeit und Ewigkeit des
Futters.

Der auf die große Thatſache des taͤglich wiederkehren-
den Hungers ſich ſtuͤtzende Glaube des Menſchen hat allen
anderen Glauben und jede hoͤhere Neigung dergeſtalt ver-
zehrt, daß es wirklich, zumahl, wenn man die darauf er-
richteten oͤkonomiſchen Theorien betrachtet, das Anſehen hat,
als waͤre das Verlangen der Sachen nach den Menſchen viel
groͤßer, als das der Menſchen nach den Sachen, und als
verſpeiſten eigentlich die Sachen den Menſchen, und nicht
dieſer jene.

Aber von allen dieſen Verirrungen eines tief geſunkenen
Geſchlechts abgeſehen: es iſt wirklich ein Geiſt, ein gewalti-
ger Geiſt in den Sachen, den ſie in der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft und durch dieſelbe erlangen. Dadurch, daß die ganze
buͤrgerliche Geſellſchaft eine ſolche Sache begehrt, wird ſie
erſt fuͤr den Einzelnen ſo wichtig und ſo furchtbar, und ſo
iſt denn der Irrthum begreiflich, daß, lange nachdem die
letzten Gefuͤhle fuͤr das Gemeinweſen in dem Einzelnen er-
ſtorben ſind, er noch ein Geſpenſt desſelben in den Sachen
ehren, fuͤrchten und ſchonen muß.

So offenbart ſich denn auch hier das große, oft erwaͤhnte
Gleichgewicht der menſchlichen Irrthuͤmer: einerſeits
werden die Sachen zu Goͤtzen, zu Tyrannen des Menſchen
erhoben; die Neigung des Poͤbels und die fataliſtiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0183" n="169"/>
das zwar nicht eigentlich tau&#x017F;cht und commerziret, aber<lb/>
nicht leben ko&#x0364;nnte ohne einen gewi&#x017F;&#x017F;en dunkeln Glauben<lb/>
an die u&#x0364;ber&#x017F;chwengliche Nothwendigkeit und Ewigkeit des<lb/>
Futters.</p><lb/>
          <p>Der auf die große That&#x017F;ache des ta&#x0364;glich wiederkehren-<lb/>
den Hungers &#x017F;ich &#x017F;tu&#x0364;tzende Glaube des Men&#x017F;chen hat allen<lb/>
anderen Glauben und jede ho&#x0364;here Neigung derge&#x017F;talt ver-<lb/>
zehrt, daß es wirklich, zumahl, wenn man die darauf er-<lb/>
richteten o&#x0364;konomi&#x017F;chen Theorien betrachtet, das An&#x017F;ehen hat,<lb/>
als wa&#x0364;re das Verlangen der Sachen nach den Men&#x017F;chen viel<lb/>
gro&#x0364;ßer, als das der Men&#x017F;chen nach den Sachen, und als<lb/>
ver&#x017F;pei&#x017F;ten eigentlich die Sachen den Men&#x017F;chen, und nicht<lb/>
die&#x017F;er jene.</p><lb/>
          <p>Aber von allen die&#x017F;en Verirrungen eines tief ge&#x017F;unkenen<lb/>
Ge&#x017F;chlechts abge&#x017F;ehen: es i&#x017F;t wirklich ein Gei&#x017F;t, ein gewalti-<lb/>
ger Gei&#x017F;t in den Sachen, den &#x017F;ie in der bu&#x0364;rgerlichen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft und durch die&#x017F;elbe erlangen. Dadurch, daß die ganze<lb/>
bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eine &#x017F;olche Sache begehrt, wird &#x017F;ie<lb/>
er&#x017F;t fu&#x0364;r den Einzelnen &#x017F;o wichtig und &#x017F;o furchtbar, und &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t denn der Irrthum begreiflich, daß, lange nachdem die<lb/>
letzten Gefu&#x0364;hle fu&#x0364;r das Gemeinwe&#x017F;en in dem Einzelnen er-<lb/>
&#x017F;torben &#x017F;ind, er noch ein Ge&#x017F;pen&#x017F;t des&#x017F;elben in den Sachen<lb/>
ehren, fu&#x0364;rchten und &#x017F;chonen muß.</p><lb/>
          <p>So offenbart &#x017F;ich denn auch hier das große, oft erwa&#x0364;hnte<lb/>
Gleichgewicht der men&#x017F;chlichen Irrthu&#x0364;mer: <hi rendition="#g">einer&#x017F;eits</hi><lb/>
werden die Sachen zu Go&#x0364;tzen, zu Tyrannen des Men&#x017F;chen<lb/>
erhoben; die Neigung des Po&#x0364;bels und die fatali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0183] das zwar nicht eigentlich tauſcht und commerziret, aber nicht leben koͤnnte ohne einen gewiſſen dunkeln Glauben an die uͤberſchwengliche Nothwendigkeit und Ewigkeit des Futters. Der auf die große Thatſache des taͤglich wiederkehren- den Hungers ſich ſtuͤtzende Glaube des Menſchen hat allen anderen Glauben und jede hoͤhere Neigung dergeſtalt ver- zehrt, daß es wirklich, zumahl, wenn man die darauf er- richteten oͤkonomiſchen Theorien betrachtet, das Anſehen hat, als waͤre das Verlangen der Sachen nach den Menſchen viel groͤßer, als das der Menſchen nach den Sachen, und als verſpeiſten eigentlich die Sachen den Menſchen, und nicht dieſer jene. Aber von allen dieſen Verirrungen eines tief geſunkenen Geſchlechts abgeſehen: es iſt wirklich ein Geiſt, ein gewalti- ger Geiſt in den Sachen, den ſie in der buͤrgerlichen Ge- ſellſchaft und durch dieſelbe erlangen. Dadurch, daß die ganze buͤrgerliche Geſellſchaft eine ſolche Sache begehrt, wird ſie erſt fuͤr den Einzelnen ſo wichtig und ſo furchtbar, und ſo iſt denn der Irrthum begreiflich, daß, lange nachdem die letzten Gefuͤhle fuͤr das Gemeinweſen in dem Einzelnen er- ſtorben ſind, er noch ein Geſpenſt desſelben in den Sachen ehren, fuͤrchten und ſchonen muß. So offenbart ſich denn auch hier das große, oft erwaͤhnte Gleichgewicht der menſchlichen Irrthuͤmer: einerſeits werden die Sachen zu Goͤtzen, zu Tyrannen des Menſchen erhoben; die Neigung des Poͤbels und die fataliſtiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/183
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/183>, abgerufen am 18.04.2024.