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Müller-Breslau, Heinrich: Die neueren Methoden der Festigkeitslehre und der Statik der Baukonstruktionen. Leipzig, 1886.

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bekannten lediglich mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen zu berech-
nen, und das Fachwerk heisst ein statisch unbestimmtes.

Ist dagegen n' + 2 n'' + r < 2 k, so kann im Allgemeinen kein
Gleichgewicht zwischen den äusseren und inneren Kräften bestehen; das
Fachwerk heisst ein verschiebliches (labiles).

Soll das Fachwerk statisch bestimmt und unverschieblich
(stabil) sein, d. h. sollen sich die Auflagerkräfte und Spannkräfte mittelst
der Gleichgewichtsbedingungen eindeutig durch die äusseren Kräfte
ausdrücken lassen, so muss r + n' + 2 n'' = 2 k sein, und ausserdem
darf die aus den Koefficienten der Bedingungsgleichungen (1) gebildete
Determinante nicht gleich Null sein.*) Die Untersuchung dieser Deter-
minante ist sehr umständlich, aber auch entbehrlich, da sich die Frage
nach der statischen Bestimmtheit und Unverschieblichkeit eines ebenen
Fachwerks stets schnell und sicher durch den Versuch entscheiden lässt,
die Auflagerkräfte und Spannkräfte eindeutig zu berechnen, etwa mit
Hilfe der Ritterschen Methode oder mit Hilfe eines Kräfteplanes. Beide
Verfahren werden hier als bekannt vorausgesetzt.

Jedes statisch unbestimmte Fachwerk lässt sich durch Beseitigung
gewisser Stäbe und Auflagerkräfte -- welche in der Folge überzählig
genannt werden sollen -- in ein statisch bestimmtes Fachwerk (das
Hauptnetz) verwandeln. Die Stäbe und Auflagerkräfte des Haupt-
netzes heissen die nothwendigen Glieder des Fachwerks.

2) Werden die überzähligen Stäbe eines statisch unbestimmten
Fachwerks entfernt und, damit an dem Spannungszustande des Fach-
werkes nichts geändert werde, die Spannkräfte in den weggenommenen
Stäben als äussere Kräfte wieder hinzugefügt, so ist es möglich, die
Spannkräfte in den nothwendigen Stäben und die nothwendigen Auf-
lagerkräfte durch die gegebenen Lasten und die unbekannten über-
zähligen Stabkräfte und Auflagerkräfte auszudrücken. Hierbei können
sich nur Beziehungen ersten Grades ergeben, weil in den Gleichgewichts-

*) Bezeichnet man die zu berechnenden Unbekannten allgemein mit Z1,
Z2, Z3 .... Zi = 2 k, so lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen auf die Form
bringen: [Formel 1]
wobei a1 · 1 bis ai · i und c1 bis ci gegebene Grössen bedeuten. Damit sich
sämmtliche Z mit Hilfe dieser Gleichungen berechnen lassen, ist erforderlich
und ausreichend, dass die aus den Koefficienten a gebildete Determinante
[Formel 2] nicht gleich Null wird.
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bekannten lediglich mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen zu berech-
nen, und das Fachwerk heisst ein statisch unbestimmtes.

Ist dagegen n' + 2 n'' + r < 2 k, so kann im Allgemeinen kein
Gleichgewicht zwischen den äusseren und inneren Kräften bestehen; das
Fachwerk heisst ein verschiebliches (labiles).

Soll das Fachwerk statisch bestimmt und unverschieblich
(stabil) sein, d. h. sollen sich die Auflagerkräfte und Spannkräfte mittelst
der Gleichgewichtsbedingungen eindeutig durch die äusseren Kräfte
ausdrücken lassen, so muss r + n' + 2 n'' = 2 k sein, und ausserdem
darf die aus den Koefficienten der Bedingungsgleichungen (1) gebildete
Determinante nicht gleich Null sein.*) Die Untersuchung dieser Deter-
minante ist sehr umständlich, aber auch entbehrlich, da sich die Frage
nach der statischen Bestimmtheit und Unverschieblichkeit eines ebenen
Fachwerks stets schnell und sicher durch den Versuch entscheiden lässt,
die Auflagerkräfte und Spannkräfte eindeutig zu berechnen, etwa mit
Hilfe der Ritterschen Methode oder mit Hilfe eines Kräfteplanes. Beide
Verfahren werden hier als bekannt vorausgesetzt.

Jedes statisch unbestimmte Fachwerk lässt sich durch Beseitigung
gewisser Stäbe und Auflagerkräfte — welche in der Folge überzählig
genannt werden sollen — in ein statisch bestimmtes Fachwerk (das
Hauptnetz) verwandeln. Die Stäbe und Auflagerkräfte des Haupt-
netzes heissen die nothwendigen Glieder des Fachwerks.

2) Werden die überzähligen Stäbe eines statisch unbestimmten
Fachwerks entfernt und, damit an dem Spannungszustande des Fach-
werkes nichts geändert werde, die Spannkräfte in den weggenommenen
Stäben als äussere Kräfte wieder hinzugefügt, so ist es möglich, die
Spannkräfte in den nothwendigen Stäben und die nothwendigen Auf-
lagerkräfte durch die gegebenen Lasten und die unbekannten über-
zähligen Stabkräfte und Auflagerkräfte auszudrücken. Hierbei können
sich nur Beziehungen ersten Grades ergeben, weil in den Gleichgewichts-

*) Bezeichnet man die zu berechnenden Unbekannten allgemein mit Z1,
Z2, Z3 .... Zi = 2 k, so lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen auf die Form
bringen: [Formel 1]
wobei a1 · 1 bis ai · i und c1 bis ci gegebene Grössen bedeuten. Damit sich
sämmtliche Z mit Hilfe dieser Gleichungen berechnen lassen, ist erforderlich
und ausreichend, dass die aus den Koefficienten a gebildete Determinante
[Formel 2] nicht gleich Null wird.
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[3/0015] bekannten lediglich mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen zu berech- nen, und das Fachwerk heisst ein statisch unbestimmtes. Ist dagegen n' + 2 n'' + r < 2 k, so kann im Allgemeinen kein Gleichgewicht zwischen den äusseren und inneren Kräften bestehen; das Fachwerk heisst ein verschiebliches (labiles). Soll das Fachwerk statisch bestimmt und unverschieblich (stabil) sein, d. h. sollen sich die Auflagerkräfte und Spannkräfte mittelst der Gleichgewichtsbedingungen eindeutig durch die äusseren Kräfte ausdrücken lassen, so muss r + n' + 2 n'' = 2 k sein, und ausserdem darf die aus den Koefficienten der Bedingungsgleichungen (1) gebildete Determinante nicht gleich Null sein. *) Die Untersuchung dieser Deter- minante ist sehr umständlich, aber auch entbehrlich, da sich die Frage nach der statischen Bestimmtheit und Unverschieblichkeit eines ebenen Fachwerks stets schnell und sicher durch den Versuch entscheiden lässt, die Auflagerkräfte und Spannkräfte eindeutig zu berechnen, etwa mit Hilfe der Ritterschen Methode oder mit Hilfe eines Kräfteplanes. Beide Verfahren werden hier als bekannt vorausgesetzt. Jedes statisch unbestimmte Fachwerk lässt sich durch Beseitigung gewisser Stäbe und Auflagerkräfte — welche in der Folge überzählig genannt werden sollen — in ein statisch bestimmtes Fachwerk (das Hauptnetz) verwandeln. Die Stäbe und Auflagerkräfte des Haupt- netzes heissen die nothwendigen Glieder des Fachwerks. 2) Werden die überzähligen Stäbe eines statisch unbestimmten Fachwerks entfernt und, damit an dem Spannungszustande des Fach- werkes nichts geändert werde, die Spannkräfte in den weggenommenen Stäben als äussere Kräfte wieder hinzugefügt, so ist es möglich, die Spannkräfte in den nothwendigen Stäben und die nothwendigen Auf- lagerkräfte durch die gegebenen Lasten und die unbekannten über- zähligen Stabkräfte und Auflagerkräfte auszudrücken. Hierbei können sich nur Beziehungen ersten Grades ergeben, weil in den Gleichgewichts- *) Bezeichnet man die zu berechnenden Unbekannten allgemein mit Z1, Z2, Z3 .... Zi = 2 k, so lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen auf die Form bringen: [FORMEL] wobei a1 · 1 bis ai · i und c1 bis ci gegebene Grössen bedeuten. Damit sich sämmtliche Z mit Hilfe dieser Gleichungen berechnen lassen, ist erforderlich und ausreichend, dass die aus den Koefficienten a gebildete Determinante [FORMEL] nicht gleich Null wird. 1*

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Zitationshilfe: Müller-Breslau, Heinrich: Die neueren Methoden der Festigkeitslehre und der Statik der Baukonstruktionen. Leipzig, 1886, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_festigkeitslehre_1886/15>, abgerufen am 28.03.2024.