Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

der Madonna di San Luca, ich begreife Sie in Ihrem Raisonnement durchaus nicht. Sie überbieten ja in diesem Punkte die verabscheuungswürdigen Philosophen, welche, wie Sie so oft behauptet haben, den Samen der Revolution über Ihr Vaterland ausgestreuet haben, und ein Voltaire könnte nicht profaner als Sie über die Wunder und Geheimnisse der offenbarten Religion declamiren.

Haben Sie nicht ein Sprüchwort, Herr Doctor, daß man nicht soll ausschütten das Kind mit dem Bade? entgegnete der Marquis. Wissen Sie, ich will Ihnen sagen, Sie sind ein Mann, der sich hat eingegarnet in ein neumodiges System von Religion, Philosophie und Poesie, nach welchem Sie sich einrichten in allen Ihren Raisonnements. Es ist, so zu sagen, das Exercierreglement Ihres Geistes, wenn Sie es nicht wollen nehmen auf die böse Seite. Aber ich habe alle meine Meinungen und Urtheile gewonnen in der Schule des Lebens, und ich lasse mich nicht beherrschen von irgend einer Theorie. Wenn ich auch stimme überein in der Betrachtung der katholischen Kirche mit dem bösen Voltaire, so habe ich keine Scham darüber. Aber ich habe Alles, was ich von diesen Sachen denke und sage, nicht gelernt aus dem Voltaire, das ist der wichtige Punkt, mein Herr Doctor, sondern ich habe es geschöpft aus meiner eigenen Erfahrung, und ich habe bezahlt sehr theuer diese Erfahrung.

der Madonna di San Luca, ich begreife Sie in Ihrem Raisonnement durchaus nicht. Sie überbieten ja in diesem Punkte die verabscheuungswürdigen Philosophen, welche, wie Sie so oft behauptet haben, den Samen der Revolution über Ihr Vaterland ausgestreuet haben, und ein Voltaire könnte nicht profaner als Sie über die Wunder und Geheimnisse der offenbarten Religion declamiren.

Haben Sie nicht ein Sprüchwort, Herr Doctor, daß man nicht soll ausschütten das Kind mit dem Bade? entgegnete der Marquis. Wissen Sie, ich will Ihnen sagen, Sie sind ein Mann, der sich hat eingegarnet in ein neumodiges System von Religion, Philosophie und Poesie, nach welchem Sie sich einrichten in allen Ihren Raisonnements. Es ist, so zu sagen, das Exercierreglement Ihres Geistes, wenn Sie es nicht wollen nehmen auf die böse Seite. Aber ich habe alle meine Meinungen und Urtheile gewonnen in der Schule des Lebens, und ich lasse mich nicht beherrschen von irgend einer Theorie. Wenn ich auch stimme überein in der Betrachtung der katholischen Kirche mit dem bösen Voltaire, so habe ich keine Scham darüber. Aber ich habe Alles, was ich von diesen Sachen denke und sage, nicht gelernt aus dem Voltaire, das ist der wichtige Punkt, mein Herr Doctor, sondern ich habe es geschöpft aus meiner eigenen Erfahrung, und ich habe bezahlt sehr theuer diese Erfahrung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <p><pb facs="#f0048"/>
der Madonna di San Luca, ich begreife Sie in Ihrem Raisonnement                durchaus nicht. Sie überbieten ja in diesem Punkte die verabscheuungswürdigen                Philosophen, welche, wie Sie so oft behauptet haben, den Samen der Revolution über                Ihr Vaterland ausgestreuet haben, und ein Voltaire könnte nicht profaner als Sie über                die Wunder und Geheimnisse der offenbarten Religion declamiren.</p><lb/>
        <p>Haben Sie nicht ein Sprüchwort, Herr Doctor, daß man nicht soll ausschütten das Kind                mit dem Bade? entgegnete der Marquis. Wissen Sie, ich will Ihnen sagen, Sie sind ein                Mann, der sich hat eingegarnet in ein neumodiges System von Religion, Philosophie und                Poesie, nach welchem Sie sich einrichten in allen Ihren Raisonnements. Es ist, so zu                sagen, das Exercierreglement Ihres Geistes, wenn Sie es nicht wollen nehmen auf die                böse Seite. Aber ich habe alle meine Meinungen und Urtheile gewonnen in der Schule                des Lebens, und ich lasse mich nicht beherrschen von irgend einer Theorie. Wenn ich                auch stimme überein in der Betrachtung der katholischen Kirche mit dem bösen                Voltaire, so habe ich keine Scham darüber. Aber ich habe Alles, was ich von diesen                Sachen denke und sage, nicht gelernt aus dem Voltaire, das ist der wichtige Punkt,                mein Herr Doctor, sondern ich habe es geschöpft aus meiner eigenen Erfahrung, und ich                habe bezahlt sehr theuer diese Erfahrung.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] der Madonna di San Luca, ich begreife Sie in Ihrem Raisonnement durchaus nicht. Sie überbieten ja in diesem Punkte die verabscheuungswürdigen Philosophen, welche, wie Sie so oft behauptet haben, den Samen der Revolution über Ihr Vaterland ausgestreuet haben, und ein Voltaire könnte nicht profaner als Sie über die Wunder und Geheimnisse der offenbarten Religion declamiren. Haben Sie nicht ein Sprüchwort, Herr Doctor, daß man nicht soll ausschütten das Kind mit dem Bade? entgegnete der Marquis. Wissen Sie, ich will Ihnen sagen, Sie sind ein Mann, der sich hat eingegarnet in ein neumodiges System von Religion, Philosophie und Poesie, nach welchem Sie sich einrichten in allen Ihren Raisonnements. Es ist, so zu sagen, das Exercierreglement Ihres Geistes, wenn Sie es nicht wollen nehmen auf die böse Seite. Aber ich habe alle meine Meinungen und Urtheile gewonnen in der Schule des Lebens, und ich lasse mich nicht beherrschen von irgend einer Theorie. Wenn ich auch stimme überein in der Betrachtung der katholischen Kirche mit dem bösen Voltaire, so habe ich keine Scham darüber. Aber ich habe Alles, was ich von diesen Sachen denke und sage, nicht gelernt aus dem Voltaire, das ist der wichtige Punkt, mein Herr Doctor, sondern ich habe es geschöpft aus meiner eigenen Erfahrung, und ich habe bezahlt sehr theuer diese Erfahrung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/48
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/48>, abgerufen am 25.04.2024.