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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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der, je enger gemeinschaftliche Bedürfnisse, Beschäftigungen und Genüsse sie zusammenführten. Arthur, von seinen frühesten Jahren an, als einziges von mehreren Geschwistern übrig gebliebenes Kind, verzogen und gelehrt sich zu überschätzen, hatte einen hartnäckigen Sinn, wenn es darauf ankam, seine Ansichten, Grundsätze und Urtheile über Gegenstände des Lebens und der Kunst geltend zu machen, und so leicht sein Herz sich rühren ließ, eben so schwer hielt es, seinen Kopf zu bewegen. Jedoch kam es in den kleinen Händeln und Zwistigkeiten, welche er fast täglich mit dem Marquis zu bestehen hatte, niemals zu dem Aeußersten eines feindlichen Bruches. Ihre beiden Köpfe rieben und stießen sich so lange an einander, bis einer von ihnen die Herzen zur Entscheidung rief, welche dann alsbald statt der Stirnen, ihre Lippen zusammenführten. Auch bewegten sich ihre Kämpfe meistentheils um geringfügige Veranlassungen, die aber desto häufiger vorfielen und mit jeder Wiederholung peinlicher wurden, oder um allgemeine Aufgaben in dem weiten Felde der Meinungen, deren übereinstimmende Lösung nicht zu den nothwendigen Bedingungen einer friedlichen Reisegesellschaft gehörte. Aber da der Marquis und der Doctor, bei der Verschiedenheit ihres Alters und Standes, ihrer Erfahrungen und Gewohnheiten, ihrer Bildung und Sitte, fast in allen geistigen Berührungen vollkommene Gegensätze waren, so steigerte der Kampf der Meinungen, welcher sonst wohl eine Würze

der, je enger gemeinschaftliche Bedürfnisse, Beschäftigungen und Genüsse sie zusammenführten. Arthur, von seinen frühesten Jahren an, als einziges von mehreren Geschwistern übrig gebliebenes Kind, verzogen und gelehrt sich zu überschätzen, hatte einen hartnäckigen Sinn, wenn es darauf ankam, seine Ansichten, Grundsätze und Urtheile über Gegenstände des Lebens und der Kunst geltend zu machen, und so leicht sein Herz sich rühren ließ, eben so schwer hielt es, seinen Kopf zu bewegen. Jedoch kam es in den kleinen Händeln und Zwistigkeiten, welche er fast täglich mit dem Marquis zu bestehen hatte, niemals zu dem Aeußersten eines feindlichen Bruches. Ihre beiden Köpfe rieben und stießen sich so lange an einander, bis einer von ihnen die Herzen zur Entscheidung rief, welche dann alsbald statt der Stirnen, ihre Lippen zusammenführten. Auch bewegten sich ihre Kämpfe meistentheils um geringfügige Veranlassungen, die aber desto häufiger vorfielen und mit jeder Wiederholung peinlicher wurden, oder um allgemeine Aufgaben in dem weiten Felde der Meinungen, deren übereinstimmende Lösung nicht zu den nothwendigen Bedingungen einer friedlichen Reisegesellschaft gehörte. Aber da der Marquis und der Doctor, bei der Verschiedenheit ihres Alters und Standes, ihrer Erfahrungen und Gewohnheiten, ihrer Bildung und Sitte, fast in allen geistigen Berührungen vollkommene Gegensätze waren, so steigerte der Kampf der Meinungen, welcher sonst wohl eine Würze

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[0045] der, je enger gemeinschaftliche Bedürfnisse, Beschäftigungen und Genüsse sie zusammenführten. Arthur, von seinen frühesten Jahren an, als einziges von mehreren Geschwistern übrig gebliebenes Kind, verzogen und gelehrt sich zu überschätzen, hatte einen hartnäckigen Sinn, wenn es darauf ankam, seine Ansichten, Grundsätze und Urtheile über Gegenstände des Lebens und der Kunst geltend zu machen, und so leicht sein Herz sich rühren ließ, eben so schwer hielt es, seinen Kopf zu bewegen. Jedoch kam es in den kleinen Händeln und Zwistigkeiten, welche er fast täglich mit dem Marquis zu bestehen hatte, niemals zu dem Aeußersten eines feindlichen Bruches. Ihre beiden Köpfe rieben und stießen sich so lange an einander, bis einer von ihnen die Herzen zur Entscheidung rief, welche dann alsbald statt der Stirnen, ihre Lippen zusammenführten. Auch bewegten sich ihre Kämpfe meistentheils um geringfügige Veranlassungen, die aber desto häufiger vorfielen und mit jeder Wiederholung peinlicher wurden, oder um allgemeine Aufgaben in dem weiten Felde der Meinungen, deren übereinstimmende Lösung nicht zu den nothwendigen Bedingungen einer friedlichen Reisegesellschaft gehörte. Aber da der Marquis und der Doctor, bei der Verschiedenheit ihres Alters und Standes, ihrer Erfahrungen und Gewohnheiten, ihrer Bildung und Sitte, fast in allen geistigen Berührungen vollkommene Gegensätze waren, so steigerte der Kampf der Meinungen, welcher sonst wohl eine Würze

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/45>, abgerufen am 19.04.2024.