Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

schimmernden Fische schlüpften dazwischen hin, wie unter einer Krystallschale. Als er sich dem Lureleifelsen näherte, erblickte er gerade unter sich in einer Grotte von Korallen die schöne Fee mit Schilf und Muscheln bekleidet. Sobald sie das Boot über sich gewahrte, tauchte sie auf -- und es war seine Minna. Aber sie war viel größer geworden und sah ernst und bleich aus, und ihre langen Haare, die rings um sie her wie ein Schleier Herabflossen, schienen ihm rinnnende Thränen zu sein. Bist du endlich da, mein Geliebter? redete sie ihn mit weinerlich eintöniger Stimme an, und bringst du mir das trockne Weinblatt aus deiner Bibel? Gieb es mir gleich, daß ich es mit mir hinunternehme und es wieder grün wasche. Alsdann darf ich auch wieder herauf zu dir und mit dir fahren weit hinaus in das große Meer. Dort weiß ich einen Felsenriff in der Tiefe, daran hängt der goldene Becher des alten guten Königs von Thule, meines Urgroßvaters. Er hängt zwar sehr fest und ist mit vielen Polypen und Korallen verwachsen, aber wenn ich das Blatt mit hinunterbringe, so locke ich die Sägefische damit aus dem ganzen Meere herbei und lasse mir von ihnen den Becher losbrechen. Und wenn ich den Becher nun gewonnen habe und wir Beide daraus die Tropfen trinken, die der alte König für uns darin gelassen hat, dann wird der nackte Felsen hier wieder in ein Schloß voll Pracht und Herrlichkiet verwandelt, und du ziehest ein in dasselbe

schimmernden Fische schlüpften dazwischen hin, wie unter einer Krystallschale. Als er sich dem Lureleifelsen näherte, erblickte er gerade unter sich in einer Grotte von Korallen die schöne Fee mit Schilf und Muscheln bekleidet. Sobald sie das Boot über sich gewahrte, tauchte sie auf — und es war seine Minna. Aber sie war viel größer geworden und sah ernst und bleich aus, und ihre langen Haare, die rings um sie her wie ein Schleier Herabflossen, schienen ihm rinnnende Thränen zu sein. Bist du endlich da, mein Geliebter? redete sie ihn mit weinerlich eintöniger Stimme an, und bringst du mir das trockne Weinblatt aus deiner Bibel? Gieb es mir gleich, daß ich es mit mir hinunternehme und es wieder grün wasche. Alsdann darf ich auch wieder herauf zu dir und mit dir fahren weit hinaus in das große Meer. Dort weiß ich einen Felsenriff in der Tiefe, daran hängt der goldene Becher des alten guten Königs von Thule, meines Urgroßvaters. Er hängt zwar sehr fest und ist mit vielen Polypen und Korallen verwachsen, aber wenn ich das Blatt mit hinunterbringe, so locke ich die Sägefische damit aus dem ganzen Meere herbei und lasse mir von ihnen den Becher losbrechen. Und wenn ich den Becher nun gewonnen habe und wir Beide daraus die Tropfen trinken, die der alte König für uns darin gelassen hat, dann wird der nackte Felsen hier wieder in ein Schloß voll Pracht und Herrlichkiet verwandelt, und du ziehest ein in dasselbe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0036"/>
schimmernden                Fische schlüpften dazwischen hin, wie unter einer Krystallschale. Als er sich dem                Lureleifelsen näherte, erblickte er gerade unter sich in einer Grotte von Korallen                die schöne Fee mit Schilf und Muscheln bekleidet. Sobald sie das Boot über sich                gewahrte, tauchte sie auf &#x2014; und es war seine Minna. Aber sie war viel größer geworden                und sah ernst und bleich aus, und ihre langen Haare, die rings um sie her wie ein                Schleier Herabflossen, schienen ihm rinnnende Thränen zu sein. Bist du endlich da,                mein Geliebter? redete sie ihn mit weinerlich eintöniger Stimme an, und bringst du                mir das trockne Weinblatt aus deiner Bibel? Gieb es mir gleich, daß ich es mit mir                hinunternehme und es wieder grün wasche. Alsdann darf ich auch wieder herauf zu dir                und mit dir fahren weit hinaus in das große Meer. Dort weiß ich einen Felsenriff in                der Tiefe, daran hängt der goldene Becher des alten guten Königs von Thule, meines                Urgroßvaters. Er hängt zwar sehr fest und ist mit vielen Polypen und Korallen                verwachsen, aber wenn ich das Blatt mit hinunterbringe, so locke ich die Sägefische                damit aus dem ganzen Meere herbei und lasse mir von ihnen den Becher losbrechen. Und                wenn ich den Becher nun gewonnen habe und wir Beide daraus die Tropfen trinken, die                der alte König für uns darin gelassen hat, dann wird der nackte Felsen hier wieder in                ein Schloß voll Pracht und Herrlichkiet verwandelt, und du ziehest ein in dasselbe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] schimmernden Fische schlüpften dazwischen hin, wie unter einer Krystallschale. Als er sich dem Lureleifelsen näherte, erblickte er gerade unter sich in einer Grotte von Korallen die schöne Fee mit Schilf und Muscheln bekleidet. Sobald sie das Boot über sich gewahrte, tauchte sie auf — und es war seine Minna. Aber sie war viel größer geworden und sah ernst und bleich aus, und ihre langen Haare, die rings um sie her wie ein Schleier Herabflossen, schienen ihm rinnnende Thränen zu sein. Bist du endlich da, mein Geliebter? redete sie ihn mit weinerlich eintöniger Stimme an, und bringst du mir das trockne Weinblatt aus deiner Bibel? Gieb es mir gleich, daß ich es mit mir hinunternehme und es wieder grün wasche. Alsdann darf ich auch wieder herauf zu dir und mit dir fahren weit hinaus in das große Meer. Dort weiß ich einen Felsenriff in der Tiefe, daran hängt der goldene Becher des alten guten Königs von Thule, meines Urgroßvaters. Er hängt zwar sehr fest und ist mit vielen Polypen und Korallen verwachsen, aber wenn ich das Blatt mit hinunterbringe, so locke ich die Sägefische damit aus dem ganzen Meere herbei und lasse mir von ihnen den Becher losbrechen. Und wenn ich den Becher nun gewonnen habe und wir Beide daraus die Tropfen trinken, die der alte König für uns darin gelassen hat, dann wird der nackte Felsen hier wieder in ein Schloß voll Pracht und Herrlichkiet verwandelt, und du ziehest ein in dasselbe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/36
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/36>, abgerufen am 20.04.2024.