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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sogenannten Mittelalters, welche es zu der höchsten Aufgabe ihres geselligen Lebens machen, jedem schönen Geiste, der nur irgend in ihren Bereich zu ziehen ist, eine Tasse Thee zu bereiten und ein Stammbuchblatt zu übergeben. Die Geheimeräthin trieb es sogar noch weiter in ihrem Antheile an den schönen Wissenschaften und freien Künsten. Sie besaß mehrere ungedruckte Gedichte gedruckter Autoren in eigenhändigen Abschriften derselben, auch einige Bücher mit geschriebenen Zueignungen und endlich ein Manuskript, welches ihr eine förmlich gedruckte Dedikation verhieß, wenn es ihr gelungen wäre einen Verleger für dasselbe zu finden. Für eine Dame dieses Charakters mußte der Doktor Lerchenfels ein unschätzbarer Hausfreund sein, und sie ließ es daher auch an keinem Mittel fehlen, ihn an ihr Haus zu fesseln. Er verschaffte ihr die neuesten Zeitschriften und Taschenbücher, hinterbrachte ihr aus seinem Briefwechsel mit namhaften Autoren anziehende Nachrichten und Bemerkungen, machte ihren Vorleser in größeren Cirkeln, führte ihr berühmte Fremde zu und war überhaupt in allen gelehrten Beziehungen der belebende und ordnende Geist ihres geselligen Lebens. Dafür wurde er aber auch wieder von der Geheimeräthin auf jede Weise ausgezeichnet und fast wie ein liebes Kind verzogen. Sein Urtheil in Sachen des Geschmacks galt ihr für ein untrügliches Orakel, seine Muse wurde von ihr angebetet, zu allen Stunden des Tages stand ihr Haus ihm offen, und

sogenannten Mittelalters, welche es zu der höchsten Aufgabe ihres geselligen Lebens machen, jedem schönen Geiste, der nur irgend in ihren Bereich zu ziehen ist, eine Tasse Thee zu bereiten und ein Stammbuchblatt zu übergeben. Die Geheimeräthin trieb es sogar noch weiter in ihrem Antheile an den schönen Wissenschaften und freien Künsten. Sie besaß mehrere ungedruckte Gedichte gedruckter Autoren in eigenhändigen Abschriften derselben, auch einige Bücher mit geschriebenen Zueignungen und endlich ein Manuskript, welches ihr eine förmlich gedruckte Dedikation verhieß, wenn es ihr gelungen wäre einen Verleger für dasselbe zu finden. Für eine Dame dieses Charakters mußte der Doktor Lerchenfels ein unschätzbarer Hausfreund sein, und sie ließ es daher auch an keinem Mittel fehlen, ihn an ihr Haus zu fesseln. Er verschaffte ihr die neuesten Zeitschriften und Taschenbücher, hinterbrachte ihr aus seinem Briefwechsel mit namhaften Autoren anziehende Nachrichten und Bemerkungen, machte ihren Vorleser in größeren Cirkeln, führte ihr berühmte Fremde zu und war überhaupt in allen gelehrten Beziehungen der belebende und ordnende Geist ihres geselligen Lebens. Dafür wurde er aber auch wieder von der Geheimeräthin auf jede Weise ausgezeichnet und fast wie ein liebes Kind verzogen. Sein Urtheil in Sachen des Geschmacks galt ihr für ein untrügliches Orakel, seine Muse wurde von ihr angebetet, zu allen Stunden des Tages stand ihr Haus ihm offen, und

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[0017] sogenannten Mittelalters, welche es zu der höchsten Aufgabe ihres geselligen Lebens machen, jedem schönen Geiste, der nur irgend in ihren Bereich zu ziehen ist, eine Tasse Thee zu bereiten und ein Stammbuchblatt zu übergeben. Die Geheimeräthin trieb es sogar noch weiter in ihrem Antheile an den schönen Wissenschaften und freien Künsten. Sie besaß mehrere ungedruckte Gedichte gedruckter Autoren in eigenhändigen Abschriften derselben, auch einige Bücher mit geschriebenen Zueignungen und endlich ein Manuskript, welches ihr eine förmlich gedruckte Dedikation verhieß, wenn es ihr gelungen wäre einen Verleger für dasselbe zu finden. Für eine Dame dieses Charakters mußte der Doktor Lerchenfels ein unschätzbarer Hausfreund sein, und sie ließ es daher auch an keinem Mittel fehlen, ihn an ihr Haus zu fesseln. Er verschaffte ihr die neuesten Zeitschriften und Taschenbücher, hinterbrachte ihr aus seinem Briefwechsel mit namhaften Autoren anziehende Nachrichten und Bemerkungen, machte ihren Vorleser in größeren Cirkeln, führte ihr berühmte Fremde zu und war überhaupt in allen gelehrten Beziehungen der belebende und ordnende Geist ihres geselligen Lebens. Dafür wurde er aber auch wieder von der Geheimeräthin auf jede Weise ausgezeichnet und fast wie ein liebes Kind verzogen. Sein Urtheil in Sachen des Geschmacks galt ihr für ein untrügliches Orakel, seine Muse wurde von ihr angebetet, zu allen Stunden des Tages stand ihr Haus ihm offen, und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/17>, abgerufen am 23.04.2024.