Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

sich immer weiter entfernte, alles das sich durch¬
kreuzende Gewimmel. -- Alles schien ihm da so
dicht, so klein in einander zu laufen, wie
der zusammengedrängte Haufen Häuser, den er
noch in der Ferne sahe -- und nun dachte er sich
hier auf dem freien Felde die Stille, und daß
ihn niemand bemerkte, niemand ihm eine hämi¬
sche Mine machte -- und dort das lermende Ge¬
wühl, das Rasseln der Wagen, denen er aus
dem Wege gehn mußte, die Blicke der Menschen,
die er scheute -- das alles mahlte sich in seiner
Einbildungskraft im Kleinen, und erweckte ein
wunderbares Gefühl in ihm, wie am Abend
der Tag sich von der Dämmerung scheidet, und
die eine Hälfte des Himmels noch vom Abend¬
roth erhellt ist, indes die andere schon im Dun¬
kel ruht. --

Er fühlte ungewöhnliche Kraft in seiner See¬
le, sich über alles das hinwegzusetzen, was ihn
darnieder drückte -- denn wie klein war der Um¬
fang, der alle das Gewirre umschloß, in welches
seine Besorgnisse und Bekümmernisse verflochten
waren, und vor ihm lag die große Welt. --

ſich immer weiter entfernte, alles das ſich durch¬
kreuzende Gewimmel. — Alles ſchien ihm da ſo
dicht, ſo klein in einander zu laufen, wie
der zuſammengedraͤngte Haufen Haͤuſer, den er
noch in der Ferne ſahe — und nun dachte er ſich
hier auf dem freien Felde die Stille, und daß
ihn niemand bemerkte, niemand ihm eine haͤmi¬
ſche Mine machte — und dort das lermende Ge¬
wuͤhl, das Raſſeln der Wagen, denen er aus
dem Wege gehn mußte, die Blicke der Menſchen,
die er ſcheute — das alles mahlte ſich in ſeiner
Einbildungskraft im Kleinen, und erweckte ein
wunderbares Gefuͤhl in ihm, wie am Abend
der Tag ſich von der Daͤmmerung ſcheidet, und
die eine Haͤlfte des Himmels noch vom Abend¬
roth erhellt iſt, indes die andere ſchon im Dun¬
kel ruht. —

Er fuͤhlte ungewoͤhnliche Kraft in ſeiner See¬
le, ſich uͤber alles das hinwegzuſetzen, was ihn
darnieder druͤckte — denn wie klein war der Um¬
fang, der alle das Gewirre umſchloß, in welches
ſeine Beſorgniſſe und Bekuͤmmerniſſe verflochten
waren, und vor ihm lag die große Welt. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0074" n="64"/>
&#x017F;ich immer weiter entfernte, alles das &#x017F;ich durch¬<lb/>
kreuzende Gewimmel. &#x2014; Alles &#x017F;chien ihm da &#x017F;o<lb/><hi rendition="#fr">dicht, &#x017F;o klein in einander zu laufen</hi>, wie<lb/>
der zu&#x017F;ammengedra&#x0364;ngte Haufen Ha&#x0364;u&#x017F;er, den er<lb/>
noch in der Ferne &#x017F;ahe &#x2014; und nun dachte er &#x017F;ich<lb/>
hier auf dem freien Felde die Stille, und daß<lb/>
ihn niemand bemerkte, niemand ihm eine ha&#x0364;mi¬<lb/>
&#x017F;che Mine machte &#x2014; und dort das lermende Ge¬<lb/>
wu&#x0364;hl, das Ra&#x017F;&#x017F;eln der Wagen, denen er aus<lb/>
dem Wege gehn mußte, die Blicke der Men&#x017F;chen,<lb/>
die er &#x017F;cheute &#x2014; das alles mahlte &#x017F;ich in &#x017F;einer<lb/>
Einbildungskraft im Kleinen, und erweckte ein<lb/>
wunderbares Gefu&#x0364;hl in ihm, wie am Abend<lb/>
der Tag &#x017F;ich von der Da&#x0364;mmerung &#x017F;cheidet, und<lb/>
die eine Ha&#x0364;lfte des Himmels noch vom Abend¬<lb/>
roth erhellt i&#x017F;t, indes die andere &#x017F;chon im Dun¬<lb/>
kel ruht. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Er fu&#x0364;hlte ungewo&#x0364;hnliche Kraft in &#x017F;einer See¬<lb/>
le, &#x017F;ich u&#x0364;ber alles das hinwegzu&#x017F;etzen, was ihn<lb/>
darnieder dru&#x0364;ckte &#x2014; denn wie klein war der Um¬<lb/>
fang, der alle das Gewirre um&#x017F;chloß, in welches<lb/>
&#x017F;eine Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e und Beku&#x0364;mmerni&#x017F;&#x017F;e verflochten<lb/>
waren, und vor ihm lag die große Welt. &#x2014;</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0074] ſich immer weiter entfernte, alles das ſich durch¬ kreuzende Gewimmel. — Alles ſchien ihm da ſo dicht, ſo klein in einander zu laufen, wie der zuſammengedraͤngte Haufen Haͤuſer, den er noch in der Ferne ſahe — und nun dachte er ſich hier auf dem freien Felde die Stille, und daß ihn niemand bemerkte, niemand ihm eine haͤmi¬ ſche Mine machte — und dort das lermende Ge¬ wuͤhl, das Raſſeln der Wagen, denen er aus dem Wege gehn mußte, die Blicke der Menſchen, die er ſcheute — das alles mahlte ſich in ſeiner Einbildungskraft im Kleinen, und erweckte ein wunderbares Gefuͤhl in ihm, wie am Abend der Tag ſich von der Daͤmmerung ſcheidet, und die eine Haͤlfte des Himmels noch vom Abend¬ roth erhellt iſt, indes die andere ſchon im Dun¬ kel ruht. — Er fuͤhlte ungewoͤhnliche Kraft in ſeiner See¬ le, ſich uͤber alles das hinwegzuſetzen, was ihn darnieder druͤckte — denn wie klein war der Um¬ fang, der alle das Gewirre umſchloß, in welches ſeine Beſorgniſſe und Bekuͤmmerniſſe verflochten waren, und vor ihm lag die große Welt. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/74
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/74>, abgerufen am 23.04.2024.