Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

und sich auf die Weise einen anschaulichen Begriff
davon zu machen suchte. --

Das simple Abschreiben des Hauptinhalts
brachte für ihn schon ein vorzügliches Interesse
in die Sache -- denn indem er nun das Blatt,
auf welches er die in dem Buche enthaltenen
Materien niedergeschrieben hatte, beim Lesen des
Buches vor sich hinlegte, erhielt er dadurch den
Vortheil, daß er bei dem Einzelnen nie das
Ganze aus den Augen verlohr
, welches doch
beim philosophischen Denken immer ein Haupt¬
erforderniß ist, und auch die größte Schwierig¬
keit macht. --

Alles was er noch nicht durchdacht hatte, lag
auf dieser Charte wie ein unbekanntes Land vor
ihm, welches genauer kennen zu lernen, er eine
ordentliche Sehnsucht empfand. --

Die Umrisse, das Fachwerk war durch die
allgemeine Uebersicht des Ganzen einmal in seiner
Seele gemacht, er strebte nun von den Lücken,
die er erst jetzt empfinden konnte, eine nach der
andern auszufüllen. -- Und dasjenige, was ihm
erst bloße leere Nahmen gewesen waren, wur¬
den nun allmälig vollgefüllte deutliche Begriffe,

B 5

und ſich auf die Weiſe einen anſchaulichen Begriff
davon zu machen ſuchte. —

Das ſimple Abſchreiben des Hauptinhalts
brachte fuͤr ihn ſchon ein vorzuͤgliches Intereſſe
in die Sache — denn indem er nun das Blatt,
auf welches er die in dem Buche enthaltenen
Materien niedergeſchrieben hatte, beim Leſen des
Buches vor ſich hinlegte, erhielt er dadurch den
Vortheil, daß er bei dem Einzelnen nie das
Ganze aus den Augen verlohr
, welches doch
beim philoſophiſchen Denken immer ein Haupt¬
erforderniß iſt, und auch die groͤßte Schwierig¬
keit macht. —

Alles was er noch nicht durchdacht hatte, lag
auf dieſer Charte wie ein unbekanntes Land vor
ihm, welches genauer kennen zu lernen, er eine
ordentliche Sehnſucht empfand. —

Die Umriſſe, das Fachwerk war durch die
allgemeine Ueberſicht des Ganzen einmal in ſeiner
Seele gemacht, er ſtrebte nun von den Luͤcken,
die er erſt jetzt empfinden konnte, eine nach der
andern auszufuͤllen. — Und dasjenige, was ihm
erſt bloße leere Nahmen geweſen waren, wur¬
den nun allmaͤlig vollgefuͤllte deutliche Begriffe,

B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0035" n="25"/>
und &#x017F;ich auf die Wei&#x017F;e einen an&#x017F;chaulichen Begriff<lb/>
davon zu machen &#x017F;uchte. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Das &#x017F;imple Ab&#x017F;chreiben des <hi rendition="#fr">Hauptinhalts</hi><lb/>
brachte fu&#x0364;r ihn &#x017F;chon ein vorzu&#x0364;gliches Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
in die Sache &#x2014; denn indem er nun das Blatt,<lb/>
auf welches er die in dem Buche enthaltenen<lb/>
Materien niederge&#x017F;chrieben hatte, beim Le&#x017F;en des<lb/>
Buches vor &#x017F;ich hinlegte, erhielt er dadurch den<lb/>
Vortheil, <hi rendition="#fr">daß er bei dem Einzelnen nie das<lb/>
Ganze aus den Augen verlohr</hi>, welches doch<lb/>
beim philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Denken immer ein Haupt¬<lb/>
erforderniß i&#x017F;t, und auch die gro&#x0364;ßte Schwierig¬<lb/>
keit macht. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Alles was er noch nicht durchdacht hatte, lag<lb/>
auf die&#x017F;er Charte wie ein unbekanntes Land vor<lb/>
ihm, welches genauer kennen zu lernen, er eine<lb/>
ordentliche Sehn&#x017F;ucht empfand. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Die Umri&#x017F;&#x017F;e, das Fachwerk war durch die<lb/>
allgemeine Ueber&#x017F;icht des Ganzen einmal in &#x017F;einer<lb/>
Seele gemacht, er &#x017F;trebte nun von den Lu&#x0364;cken,<lb/>
die er er&#x017F;t jetzt empfinden konnte, eine nach der<lb/>
andern auszufu&#x0364;llen. &#x2014; Und dasjenige, was ihm<lb/>
er&#x017F;t bloße leere <hi rendition="#fr">Nahmen</hi> gewe&#x017F;en waren, wur¬<lb/>
den nun allma&#x0364;lig vollgefu&#x0364;llte deutliche Begriffe,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0035] und ſich auf die Weiſe einen anſchaulichen Begriff davon zu machen ſuchte. — Das ſimple Abſchreiben des Hauptinhalts brachte fuͤr ihn ſchon ein vorzuͤgliches Intereſſe in die Sache — denn indem er nun das Blatt, auf welches er die in dem Buche enthaltenen Materien niedergeſchrieben hatte, beim Leſen des Buches vor ſich hinlegte, erhielt er dadurch den Vortheil, daß er bei dem Einzelnen nie das Ganze aus den Augen verlohr, welches doch beim philoſophiſchen Denken immer ein Haupt¬ erforderniß iſt, und auch die groͤßte Schwierig¬ keit macht. — Alles was er noch nicht durchdacht hatte, lag auf dieſer Charte wie ein unbekanntes Land vor ihm, welches genauer kennen zu lernen, er eine ordentliche Sehnſucht empfand. — Die Umriſſe, das Fachwerk war durch die allgemeine Ueberſicht des Ganzen einmal in ſeiner Seele gemacht, er ſtrebte nun von den Luͤcken, die er erſt jetzt empfinden konnte, eine nach der andern auszufuͤllen. — Und dasjenige, was ihm erſt bloße leere Nahmen geweſen waren, wur¬ den nun allmaͤlig vollgefuͤllte deutliche Begriffe, B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/35
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/35>, abgerufen am 23.04.2024.