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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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war er schon von H. . . und hatte also ohngefähr
noch fünf Meilen zurückzulegen. --

Allein der Gedanke, daß er seinen Eltern nichts
von seinem Entschluß hätte entdecken dürfen,
und doch mit schwerem Herzen von ihnen hätte
Abschied nehmen müssen, verleidete ihm diesen
Vorsatz wieder, da es überdem gegen Mitter¬
nacht stark zu regnen anfing. -- Er ging also
aufs neue mitten im Regen und Dunkel durch
das hohe Korn queerfeldein nach der Stadt zu
-- es war eine warme Sommernacht, und der
Regen und die Dunkelheit waren ihm bei dieser
menschenfeindlichen nächtlichen Wanderung die
angenehmsten Gesellschafter -- er fühlte sich
groß und frei in der ihn umgebenden Natur --
nichts drückte ihn, nichts engte ihn ein -- er
war hier auf jedem Fleck zu Hause, wo er sich
niederlegen wollte, und dem Anblick keines
Sterblichen ausgesetzt. -- Er fand zuletzt eine
ordentliche Wonne darin, durch das hohe Korn
hinzugehen, ohne Weg und Steg -- durch
nichts, nicht einmal durch ein eigentliches Ziel
gebunden, nach welchem er seine Schritte hätte
richten müssen. -- Er fühlte sich in dieser Stille

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war er ſchon von H. . . und hatte alſo ohngefaͤhr
noch fuͤnf Meilen zuruͤckzulegen. —

Allein der Gedanke, daß er ſeinen Eltern nichts
von ſeinem Entſchluß haͤtte entdecken duͤrfen,
und doch mit ſchwerem Herzen von ihnen haͤtte
Abſchied nehmen muͤſſen, verleidete ihm dieſen
Vorſatz wieder, da es uͤberdem gegen Mitter¬
nacht ſtark zu regnen anfing. — Er ging alſo
aufs neue mitten im Regen und Dunkel durch
das hohe Korn queerfeldein nach der Stadt zu
— es war eine warme Sommernacht, und der
Regen und die Dunkelheit waren ihm bei dieſer
menſchenfeindlichen naͤchtlichen Wanderung die
angenehmſten Geſellſchafter — er fuͤhlte ſich
groß und frei in der ihn umgebenden Natur —
nichts druͤckte ihn, nichts engte ihn ein — er
war hier auf jedem Fleck zu Hauſe, wo er ſich
niederlegen wollte, und dem Anblick keines
Sterblichen ausgeſetzt. — Er fand zuletzt eine
ordentliche Wonne darin, durch das hohe Korn
hinzugehen, ohne Weg und Steg — durch
nichts, nicht einmal durch ein eigentliches Ziel
gebunden, nach welchem er ſeine Schritte haͤtte
richten muͤſſen. — Er fuͤhlte ſich in dieſer Stille

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[231/0241] war er ſchon von H. . . und hatte alſo ohngefaͤhr noch fuͤnf Meilen zuruͤckzulegen. — Allein der Gedanke, daß er ſeinen Eltern nichts von ſeinem Entſchluß haͤtte entdecken duͤrfen, und doch mit ſchwerem Herzen von ihnen haͤtte Abſchied nehmen muͤſſen, verleidete ihm dieſen Vorſatz wieder, da es uͤberdem gegen Mitter¬ nacht ſtark zu regnen anfing. — Er ging alſo aufs neue mitten im Regen und Dunkel durch das hohe Korn queerfeldein nach der Stadt zu — es war eine warme Sommernacht, und der Regen und die Dunkelheit waren ihm bei dieſer menſchenfeindlichen naͤchtlichen Wanderung die angenehmſten Geſellſchafter — er fuͤhlte ſich groß und frei in der ihn umgebenden Natur — nichts druͤckte ihn, nichts engte ihn ein — er war hier auf jedem Fleck zu Hauſe, wo er ſich niederlegen wollte, und dem Anblick keines Sterblichen ausgeſetzt. — Er fand zuletzt eine ordentliche Wonne darin, durch das hohe Korn hinzugehen, ohne Weg und Steg — durch nichts, nicht einmal durch ein eigentliches Ziel gebunden, nach welchem er ſeine Schritte haͤtte richten muͤſſen. — Er fuͤhlte ſich in dieſer Stille P 4

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/241>, abgerufen am 29.03.2024.