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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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Ob er nun gleich eben keine äußere Veran¬
lassung dazu hatte, so war ihm doch die Ein¬
samkeit noch immer lieb -- und seine ver¬
gnügtesten Stunden waren, wenn er etwa
eine Strecke vor das Thor hinaus nach einer
Windmühle ging, wo ringsumher in einem klei¬
nen Bezirk eine romantische Abwechselung von
Hügeln und Thälern war, und wo er sich im
Garten in einer Laube eine Schale Milch geben
ließ, und dabei laß -- oder in seine Schreibtafel
schrieb. -- Dieß war schon vor mehrern Jahren
einer seiner liebsten Spatziergänge, und er war
auch oft mit Philipp Reisern da gewesen. --

Als Werthers Leiden erschienen, fiel ihm bei
den reitzenden Beschreibungen von Wahlheim
sogleich diese Windmühle ein, und die manchen
süßen Stunden, welche er einsam da genossen
hatte. --

Dann war vor dem neuen Thore ein künst¬
lich angelegtes ganz kleines Wäldchen, worin so
viele Krümmungen und sich durchschlängelnde
Pfade angebracht waren, daß man das Wäldchen
wenigstens für sechsmal so groß hielt, als es
war, wenn man darin herumirrte -- man hatte

Ob er nun gleich eben keine aͤußere Veran¬
laſſung dazu hatte, ſo war ihm doch die Ein¬
ſamkeit noch immer lieb — und ſeine ver¬
gnuͤgteſten Stunden waren, wenn er etwa
eine Strecke vor das Thor hinaus nach einer
Windmuͤhle ging, wo ringsumher in einem klei¬
nen Bezirk eine romantiſche Abwechſelung von
Huͤgeln und Thaͤlern war, und wo er ſich im
Garten in einer Laube eine Schale Milch geben
ließ, und dabei laß — oder in ſeine Schreibtafel
ſchrieb. — Dieß war ſchon vor mehrern Jahren
einer ſeiner liebſten Spatziergaͤnge, und er war
auch oft mit Philipp Reiſern da geweſen. —

Als Werthers Leiden erſchienen, fiel ihm bei
den reitzenden Beſchreibungen von Wahlheim
ſogleich dieſe Windmuͤhle ein, und die manchen
ſuͤßen Stunden, welche er einſam da genoſſen
hatte. —

Dann war vor dem neuen Thore ein kuͤnſt¬
lich angelegtes ganz kleines Waͤldchen, worin ſo
viele Kruͤmmungen und ſich durchſchlaͤngelnde
Pfade angebracht waren, daß man das Waͤldchen
wenigſtens fuͤr ſechsmal ſo groß hielt, als es
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[196/0206] Ob er nun gleich eben keine aͤußere Veran¬ laſſung dazu hatte, ſo war ihm doch die Ein¬ ſamkeit noch immer lieb — und ſeine ver¬ gnuͤgteſten Stunden waren, wenn er etwa eine Strecke vor das Thor hinaus nach einer Windmuͤhle ging, wo ringsumher in einem klei¬ nen Bezirk eine romantiſche Abwechſelung von Huͤgeln und Thaͤlern war, und wo er ſich im Garten in einer Laube eine Schale Milch geben ließ, und dabei laß — oder in ſeine Schreibtafel ſchrieb. — Dieß war ſchon vor mehrern Jahren einer ſeiner liebſten Spatziergaͤnge, und er war auch oft mit Philipp Reiſern da geweſen. — Als Werthers Leiden erſchienen, fiel ihm bei den reitzenden Beſchreibungen von Wahlheim ſogleich dieſe Windmuͤhle ein, und die manchen ſuͤßen Stunden, welche er einſam da genoſſen hatte. — Dann war vor dem neuen Thore ein kuͤnſt¬ lich angelegtes ganz kleines Waͤldchen, worin ſo viele Kruͤmmungen und ſich durchſchlaͤngelnde Pfade angebracht waren, daß man das Waͤldchen wenigſtens fuͤr ſechsmal ſo groß hielt, als es war, wenn man darin herumirrte — man hatte

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/206>, abgerufen am 29.03.2024.