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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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lichen, wenigstens keinem noch lebenden
Sterblichen
zutrauete. --

Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher
immer eine sonderbare Idee, wenn er hörte, daß
die Personen, die irgend ein berühmtes Werk
geschrieben hatten, noch lebten, und also aßen,
tranken, und schliefen, wie er. --

Da er in seinem sechszehnten Jahre zum er¬
stenmale Moses Mendelsohns Schriften laß, so
kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem
Titel, alles zusammen, um eine sonderbare Täu¬
schung bei ihm hervorzubringen, als ob dieser
Moses Mendelsohn irgend ein alter Weiser sey,
der vor Jahrhunderten gelebt hätte, und dessen
Schriften nun etwa ins Deutsche übersetzt wä¬
ren -- er trug sich lange mit diesem Wahn herum,
bis er einmal zufälliger Weise von seinem Vater
hörte, daß dieser Mendelssohn noch lebe, daß er
ein Jude sey, auf den die ganze jüdische Nation
sehr stolz wäre, und daß Reisers Vater ihn selbst
in Pyrmont gesehen habe, und wie er aussähe,
u. s. w. dieß brachte in Reisers Ideenzustande
auf einmal eine große Veränderung hervor --
seine Vorstellungen vom Alten und Neuen, Ge¬

gen¬

lichen, wenigſtens keinem noch lebenden
Sterblichen
zutrauete. —

Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher
immer eine ſonderbare Idee, wenn er hoͤrte, daß
die Perſonen, die irgend ein beruͤhmtes Werk
geſchrieben hatten, noch lebten, und alſo aßen,
tranken, und ſchliefen, wie er. —

Da er in ſeinem ſechszehnten Jahre zum er¬
ſtenmale Moſes Mendelſohns Schriften laß, ſo
kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem
Titel, alles zuſammen, um eine ſonderbare Taͤu¬
ſchung bei ihm hervorzubringen, als ob dieſer
Moſes Mendelſohn irgend ein alter Weiſer ſey,
der vor Jahrhunderten gelebt haͤtte, und deſſen
Schriften nun etwa ins Deutſche uͤberſetzt waͤ¬
ren — er trug ſich lange mit dieſem Wahn herum,
bis er einmal zufaͤlliger Weiſe von ſeinem Vater
hoͤrte, daß dieſer Mendelsſohn noch lebe, daß er
ein Jude ſey, auf den die ganze juͤdiſche Nation
ſehr ſtolz waͤre, und daß Reiſers Vater ihn ſelbſt
in Pyrmont geſehen habe, und wie er ausſaͤhe,
u. ſ. w. dieß brachte in Reiſers Ideenzuſtande
auf einmal eine große Veraͤnderung hervor —
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[192/0202] lichen, wenigſtens keinem noch lebenden Sterblichen zutrauete. — Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher immer eine ſonderbare Idee, wenn er hoͤrte, daß die Perſonen, die irgend ein beruͤhmtes Werk geſchrieben hatten, noch lebten, und alſo aßen, tranken, und ſchliefen, wie er. — Da er in ſeinem ſechszehnten Jahre zum er¬ ſtenmale Moſes Mendelſohns Schriften laß, ſo kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem Titel, alles zuſammen, um eine ſonderbare Taͤu¬ ſchung bei ihm hervorzubringen, als ob dieſer Moſes Mendelſohn irgend ein alter Weiſer ſey, der vor Jahrhunderten gelebt haͤtte, und deſſen Schriften nun etwa ins Deutſche uͤberſetzt waͤ¬ ren — er trug ſich lange mit dieſem Wahn herum, bis er einmal zufaͤlliger Weiſe von ſeinem Vater hoͤrte, daß dieſer Mendelsſohn noch lebe, daß er ein Jude ſey, auf den die ganze juͤdiſche Nation ſehr ſtolz waͤre, und daß Reiſers Vater ihn ſelbſt in Pyrmont geſehen habe, und wie er ausſaͤhe, u. ſ. w. dieß brachte in Reiſers Ideenzuſtande auf einmal eine große Veraͤnderung hervor — ſeine Vorſtellungen vom Alten und Neuen, Ge¬ gen¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/202>, abgerufen am 29.03.2024.