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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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tender Umstand bei ihm. -- Das neue Kleid,
wodurch er sich nun seinen Mitschülern, von de¬
nen er so lange durch seine schlechte Kleidung
ausgezeichnet gewesen war, wieder gleich gesetzt
sahe, flößte ihm Muth und Zutrauen zu sich sel¬
ber ein; und was das sonderbarste war, so schien
es ihm auch mehr Achtung bei andern zu erwer¬
ben, die nun erst mit ihm sprachen, da sie sich
vorher gar nicht um ihm bekümmert hatten. --

Und da er nun vollends in dem Hörsaale, wo
er so lange ein Gegenstand der allgemeinen Ver¬
achtung gewesen war, auf dem Katheder vor sei¬
nen versammleten Mitschülern öffentlich auftrat,
um sein von ihm selbst verfertigtes Gedicht zu
deklamiren, so erhob sich sein niedergedrückter
Geist zum erstenmale wieder, und es erwachten
wieder Hoffnungen und Aussichten auf die Zu¬
kunft in seiner Seele. --

Er hatte dem Direktor eine Abschrift von dem
Gedichte zum Nachlesen gegeben, die ihm dieser
wieder zurückgab, ohne daß Reiser in Versuchung
gerieth, ihm zu sagen, daß er das Gedicht selbst
verfertigt habe -- er war mit dem innern Be¬
wußtseyn davon zufrieden, und es war ihm an¬

tender Umſtand bei ihm. — Das neue Kleid,
wodurch er ſich nun ſeinen Mitſchuͤlern, von de¬
nen er ſo lange durch ſeine ſchlechte Kleidung
ausgezeichnet geweſen war, wieder gleich geſetzt
ſahe, floͤßte ihm Muth und Zutrauen zu ſich ſel¬
ber ein; und was das ſonderbarſte war, ſo ſchien
es ihm auch mehr Achtung bei andern zu erwer¬
ben, die nun erſt mit ihm ſprachen, da ſie ſich
vorher gar nicht um ihm bekuͤmmert hatten. —

Und da er nun vollends in dem Hoͤrſaale, wo
er ſo lange ein Gegenſtand der allgemeinen Ver¬
achtung geweſen war, auf dem Katheder vor ſei¬
nen verſammleten Mitſchuͤlern oͤffentlich auftrat,
um ſein von ihm ſelbſt verfertigtes Gedicht zu
deklamiren, ſo erhob ſich ſein niedergedruͤckter
Geiſt zum erſtenmale wieder, und es erwachten
wieder Hoffnungen und Ausſichten auf die Zu¬
kunft in ſeiner Seele. —

Er hatte dem Direktor eine Abſchrift von dem
Gedichte zum Nachleſen gegeben, die ihm dieſer
wieder zuruͤckgab, ohne daß Reiſer in Verſuchung
gerieth, ihm zu ſagen, daß er das Gedicht ſelbſt
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wußtſeyn davon zufrieden, und es war ihm an¬

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[118/0128] tender Umſtand bei ihm. — Das neue Kleid, wodurch er ſich nun ſeinen Mitſchuͤlern, von de¬ nen er ſo lange durch ſeine ſchlechte Kleidung ausgezeichnet geweſen war, wieder gleich geſetzt ſahe, floͤßte ihm Muth und Zutrauen zu ſich ſel¬ ber ein; und was das ſonderbarſte war, ſo ſchien es ihm auch mehr Achtung bei andern zu erwer¬ ben, die nun erſt mit ihm ſprachen, da ſie ſich vorher gar nicht um ihm bekuͤmmert hatten. — Und da er nun vollends in dem Hoͤrſaale, wo er ſo lange ein Gegenſtand der allgemeinen Ver¬ achtung geweſen war, auf dem Katheder vor ſei¬ nen verſammleten Mitſchuͤlern oͤffentlich auftrat, um ſein von ihm ſelbſt verfertigtes Gedicht zu deklamiren, ſo erhob ſich ſein niedergedruͤckter Geiſt zum erſtenmale wieder, und es erwachten wieder Hoffnungen und Ausſichten auf die Zu¬ kunft in ſeiner Seele. — Er hatte dem Direktor eine Abſchrift von dem Gedichte zum Nachleſen gegeben, die ihm dieſer wieder zuruͤckgab, ohne daß Reiſer in Verſuchung gerieth, ihm zu ſagen, daß er das Gedicht ſelbſt verfertigt habe — er war mit dem innern Be¬ wußtſeyn davon zufrieden, und es war ihm an¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/128>, abgerufen am 28.03.2024.