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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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die Besorgniß in Thränen ausbrach, wo man
noch zulezt Brodt herschaffen solle; und da Rei¬
ser in der Verlegenheit über diese Reden unver¬
sehns ein Stück Brodt an die Erde fallen ließ,
ihn mit den Augen einer Furie anblickte, ohne
doch etwas zu sagen -- Da sich Reiser über die¬
se unwürdige Begegnung der Thränen nicht ent¬
halten konnte, so brach sie gegen ihn loß,
warf ihm mit dürren Worten Unhöflichkeit und
ungeschicktes Betragen vor, und gab zu verste¬
hen, daß dergleichen Leute, die ihr den Bissen
im Munde zu Gift machten, an ihrem Tische
nicht willkommen wäre. -- Der gute Garnison¬
küster der Reisern innig bedauerte, aber das
Regiment nicht im Hause führte, erbarmte sich
seiner, und sagte ihm sogleich den Tisch auf --
So beschämt erniedrigt, und herabgewürdigt
mußte nun Reiser aus diesem Hause gehen, und
durfte es kaum wagen, sich zu Hause davon etwas
merken zu lassen, daß er einen Freitisch verloh¬
ren habe.

Wenn ihm der Garnisonküster nachher zuwei¬
len auf der Strosse begegnete, drückte er ihm
einen halben Gulden in die Hand, um ihn für

die Beſorgniß in Thraͤnen ausbrach, wo man
noch zulezt Brodt herſchaffen ſolle; und da Rei¬
ſer in der Verlegenheit uͤber dieſe Reden unver¬
ſehns ein Stuͤck Brodt an die Erde fallen ließ,
ihn mit den Augen einer Furie anblickte, ohne
doch etwas zu ſagen — Da ſich Reiſer uͤber die¬
ſe unwuͤrdige Begegnung der Thraͤnen nicht ent¬
halten konnte, ſo brach ſie gegen ihn loß,
warf ihm mit duͤrren Worten Unhoͤflichkeit und
ungeſchicktes Betragen vor, und gab zu verſte¬
hen, daß dergleichen Leute, die ihr den Biſſen
im Munde zu Gift machten, an ihrem Tiſche
nicht willkommen waͤre. — Der gute Garniſon¬
kuͤſter der Reiſern innig bedauerte, aber das
Regiment nicht im Hauſe fuͤhrte, erbarmte ſich
ſeiner, und ſagte ihm ſogleich den Tiſch auf —
So beſchaͤmt erniedrigt, und herabgewuͤrdigt
mußte nun Reiſer aus dieſem Hauſe gehen, und
durfte es kaum wagen, ſich zu Hauſe davon etwas
merken zu laſſen, daß er einen Freitiſch verloh¬
ren habe.

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len auf der Stroſſe begegnete, druͤckte er ihm
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[70/0080] die Beſorgniß in Thraͤnen ausbrach, wo man noch zulezt Brodt herſchaffen ſolle; und da Rei¬ ſer in der Verlegenheit uͤber dieſe Reden unver¬ ſehns ein Stuͤck Brodt an die Erde fallen ließ, ihn mit den Augen einer Furie anblickte, ohne doch etwas zu ſagen — Da ſich Reiſer uͤber die¬ ſe unwuͤrdige Begegnung der Thraͤnen nicht ent¬ halten konnte, ſo brach ſie gegen ihn loß, warf ihm mit duͤrren Worten Unhoͤflichkeit und ungeſchicktes Betragen vor, und gab zu verſte¬ hen, daß dergleichen Leute, die ihr den Biſſen im Munde zu Gift machten, an ihrem Tiſche nicht willkommen waͤre. — Der gute Garniſon¬ kuͤſter der Reiſern innig bedauerte, aber das Regiment nicht im Hauſe fuͤhrte, erbarmte ſich ſeiner, und ſagte ihm ſogleich den Tiſch auf — So beſchaͤmt erniedrigt, und herabgewuͤrdigt mußte nun Reiſer aus dieſem Hauſe gehen, und durfte es kaum wagen, ſich zu Hauſe davon etwas merken zu laſſen, daß er einen Freitiſch verloh¬ ren habe. Wenn ihm der Garniſonkuͤſter nachher zuwei¬ len auf der Stroſſe begegnete, druͤckte er ihm einen halben Gulden in die Hand, um ihn fuͤr

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/80>, abgerufen am 25.04.2024.