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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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so war doch das Vergnügen, von dem Kantor in
dieser Attitüde bemerkt zu werden, noch weit grös¬
ser, und man siehet auch aus diesem Zuge seinen
Hang zur Eitelkeit. Es lag ihm mehr an dem
Schein, als an der Sache, obgleich die Sache
ihm auch nicht unwichtig war.

Man hatte eine erstaunliche Meinung von sei¬
nem Fleiß, und pflegte ihm immer anzurathen,
daß er seiner Gesundheit schonen sollte; dieß war
ihm äußerst schmeichelhaft, und er ließ die Leute
bei dieser Meinung, obgleich sein Fleiß lange nicht
so groß war, wie er hätte seyn können, wenn
das Drückende seiner Lage, in Ansehung seiner
Nahrung und Wohnung ihn nicht oft träge und
mißmüthig gemacht hätte.

Denn die unwürdige Behandlung der er zu¬
weilen ausgesetzt war, benahm ihm oft einen
großen Theil der Achtung gegen sich selbst, wel¬
che schlechterdings zum Fleiß nothwendig ist. --
Oft ging er mit traurigem Herzen zur Schule,
wenn er aber denn einmal darin war, so vergaß er
seines Kummers, und die Schulstunden waren
im Grunde noch seine glücklichsten Stunden.

ſo war doch das Vergnuͤgen, von dem Kantor in
dieſer Attituͤde bemerkt zu werden, noch weit groͤſ¬
ſer, und man ſiehet auch aus dieſem Zuge ſeinen
Hang zur Eitelkeit. Es lag ihm mehr an dem
Schein, als an der Sache, obgleich die Sache
ihm auch nicht unwichtig war.

Man hatte eine erſtaunliche Meinung von ſei¬
nem Fleiß, und pflegte ihm immer anzurathen,
daß er ſeiner Geſundheit ſchonen ſollte; dieß war
ihm aͤußerſt ſchmeichelhaft, und er ließ die Leute
bei dieſer Meinung, obgleich ſein Fleiß lange nicht
ſo groß war, wie er haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn
das Druͤckende ſeiner Lage, in Anſehung ſeiner
Nahrung und Wohnung ihn nicht oft traͤge und
mißmuͤthig gemacht haͤtte.

Denn die unwuͤrdige Behandlung der er zu¬
weilen ausgeſetzt war, benahm ihm oft einen
großen Theil der Achtung gegen ſich ſelbſt, wel¬
che ſchlechterdings zum Fleiß nothwendig iſt. —
Oft ging er mit traurigem Herzen zur Schule,
wenn er aber denn einmal darin war, ſo vergaß er
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[68/0078] ſo war doch das Vergnuͤgen, von dem Kantor in dieſer Attituͤde bemerkt zu werden, noch weit groͤſ¬ ſer, und man ſiehet auch aus dieſem Zuge ſeinen Hang zur Eitelkeit. Es lag ihm mehr an dem Schein, als an der Sache, obgleich die Sache ihm auch nicht unwichtig war. Man hatte eine erſtaunliche Meinung von ſei¬ nem Fleiß, und pflegte ihm immer anzurathen, daß er ſeiner Geſundheit ſchonen ſollte; dieß war ihm aͤußerſt ſchmeichelhaft, und er ließ die Leute bei dieſer Meinung, obgleich ſein Fleiß lange nicht ſo groß war, wie er haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn das Druͤckende ſeiner Lage, in Anſehung ſeiner Nahrung und Wohnung ihn nicht oft traͤge und mißmuͤthig gemacht haͤtte. Denn die unwuͤrdige Behandlung der er zu¬ weilen ausgeſetzt war, benahm ihm oft einen großen Theil der Achtung gegen ſich ſelbſt, wel¬ che ſchlechterdings zum Fleiß nothwendig iſt. — Oft ging er mit traurigem Herzen zur Schule, wenn er aber denn einmal darin war, ſo vergaß er ſeines Kummers, und die Schulſtunden waren im Grunde noch ſeine gluͤcklichſten Stunden.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/78>, abgerufen am 29.03.2024.