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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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besser geordnet, als den Abend vorher, in seinem
Gedächtniß wiederfand, gleichsam, als ob die
Seele während dem Schlafen fortgearbeitet, und
das, was sie einmal angefangen, nun während
der gänzlichen Ruhe des Körpers, mit Muße
vollendet hätte.

Alles was Reiser dem Gedächtniß anvertrau¬
te, pflegte er auf die Weise auswendig zu lernen.

Er fing nun auch an, sich mit der Poesie zu
beschäftigen, welches er schon in seiner Kindheit
gethan hatte, wo denn seine Verse immer die
schöne Natur, das Landleben und dergleichen zum
Gegenstande zu haben pflegten. Denn seine einsa¬
men Spatziergänge und der Anblick der grünen Wie¬
sen, wenn er etwa einmal vor das Thor kam, war
wirklich das einzige, was ihn in seiner Lage in ei¬
ne poetische Begeisterung versetzen konnte.

Als ein Knabe von zehn Jahren verfertigte
er ein paar Strophen, die sich anfingen:
In den schön beblümten Auen
Kann man Gottes Güte schauen, u. s. w.

welche sein Vater in Musik setzte. Und das Ge¬
dicht, das er jetzt hervorbrachte, war eine Einla¬
dung auf das Land
worinn wenigstens die

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beſſer geordnet, als den Abend vorher, in ſeinem
Gedaͤchtniß wiederfand, gleichſam, als ob die
Seele waͤhrend dem Schlafen fortgearbeitet, und
das, was ſie einmal angefangen, nun waͤhrend
der gaͤnzlichen Ruhe des Koͤrpers, mit Muße
vollendet haͤtte.

Alles was Reiſer dem Gedaͤchtniß anvertrau¬
te, pflegte er auf die Weiſe auswendig zu lernen.

Er fing nun auch an, ſich mit der Poeſie zu
beſchaͤftigen, welches er ſchon in ſeiner Kindheit
gethan hatte, wo denn ſeine Verſe immer die
ſchoͤne Natur, das Landleben und dergleichen zum
Gegenſtande zu haben pflegten. Denn ſeine einſa¬
men Spatziergaͤnge und der Anblick der gruͤnen Wie¬
ſen, wenn er etwa einmal vor das Thor kam, war
wirklich das einzige, was ihn in ſeiner Lage in ei¬
ne poetiſche Begeiſterung verſetzen konnte.

Als ein Knabe von zehn Jahren verfertigte
er ein paar Strophen, die ſich anfingen:
In den ſchoͤn bebluͤmten Auen
Kann man Gottes Guͤte ſchauen, u. ſ. w.

welche ſein Vater in Muſik ſetzte. Und das Ge¬
dicht, das er jetzt hervorbrachte, war eine Einla¬
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[53/0063] beſſer geordnet, als den Abend vorher, in ſeinem Gedaͤchtniß wiederfand, gleichſam, als ob die Seele waͤhrend dem Schlafen fortgearbeitet, und das, was ſie einmal angefangen, nun waͤhrend der gaͤnzlichen Ruhe des Koͤrpers, mit Muße vollendet haͤtte. Alles was Reiſer dem Gedaͤchtniß anvertrau¬ te, pflegte er auf die Weiſe auswendig zu lernen. Er fing nun auch an, ſich mit der Poeſie zu beſchaͤftigen, welches er ſchon in ſeiner Kindheit gethan hatte, wo denn ſeine Verſe immer die ſchoͤne Natur, das Landleben und dergleichen zum Gegenſtande zu haben pflegten. Denn ſeine einſa¬ men Spatziergaͤnge und der Anblick der gruͤnen Wie¬ ſen, wenn er etwa einmal vor das Thor kam, war wirklich das einzige, was ihn in ſeiner Lage in ei¬ ne poetiſche Begeiſterung verſetzen konnte. Als ein Knabe von zehn Jahren verfertigte er ein paar Strophen, die ſich anfingen: In den ſchoͤn bebluͤmten Auen Kann man Gottes Guͤte ſchauen, u. ſ. w. welche ſein Vater in Muſik ſetzte. Und das Ge¬ dicht, das er jetzt hervorbrachte, war eine Einla¬ dung auf das Land worinn wenigſtens die D 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/63>, abgerufen am 28.03.2024.