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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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er über den Marktkirchhof gieng. -- Stunden¬
lang stand er oft, ob er etwa durch die Fenster
etwas, von dem, was inwendig vorgieng, erbli¬
cken könnte. Nun schimmerte von dem großen
Katheder in Prima zufälliger Weise ein Theil
durch das Fenster -- wie mahlte sich seine Phan¬
tasie das aus! Wie oft träumte ihm des Nachts
von diesem Katheder, und von langen Reihen von
Bänken, wo die glücklichen Schüler der Wei߬
heit saßen, in deren Gesellschaft er nun bald soll¬
te aufgenommen werden.

So bestanden von seiner Kindheit auf seine
eigentlichen Vergnügungen größtentheils in der
Einbildungskraft, und er wurde dadurch einiger¬
maßen für den Mangel der wirklichen Jugend¬
freuden, die andre in vollem Maße genießen,
schadloß gehalten. -- Dicht neben der Schule
führten zwei lange Gänge nach den nebeneinan¬
der gebauten Priesterhäusern. Die machten ihm
einen so ehrwürdigen Prospekt, daß das Bild
davon nebst dem Schulgebäude Tag und Nacht
das herrschende in seiner Seele war -- und denn
die Benennung, hohe Schule, welche unter
gemeinen Leuten im Gebrauch war, und der Aus¬

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er uͤber den Marktkirchhof gieng. — Stunden¬
lang ſtand er oft, ob er etwa durch die Fenſter
etwas, von dem, was inwendig vorgieng, erbli¬
cken koͤnnte. Nun ſchimmerte von dem großen
Katheder in Prima zufaͤlliger Weiſe ein Theil
durch das Fenſter — wie mahlte ſich ſeine Phan¬
taſie das aus! Wie oft traͤumte ihm des Nachts
von dieſem Katheder, und von langen Reihen von
Baͤnken, wo die gluͤcklichen Schuͤler der Wei߬
heit ſaßen, in deren Geſellſchaft er nun bald ſoll¬
te aufgenommen werden.

So beſtanden von ſeiner Kindheit auf ſeine
eigentlichen Vergnuͤgungen groͤßtentheils in der
Einbildungskraft, und er wurde dadurch einiger¬
maßen fuͤr den Mangel der wirklichen Jugend¬
freuden, die andre in vollem Maße genießen,
ſchadloß gehalten. — Dicht neben der Schule
fuͤhrten zwei lange Gaͤnge nach den nebeneinan¬
der gebauten Prieſterhaͤuſern. Die machten ihm
einen ſo ehrwuͤrdigen Proſpekt, daß das Bild
davon nebſt dem Schulgebaͤude Tag und Nacht
das herrſchende in ſeiner Seele war — und denn
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gemeinen Leuten im Gebrauch war, und der Aus¬

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[41/0051] er uͤber den Marktkirchhof gieng. — Stunden¬ lang ſtand er oft, ob er etwa durch die Fenſter etwas, von dem, was inwendig vorgieng, erbli¬ cken koͤnnte. Nun ſchimmerte von dem großen Katheder in Prima zufaͤlliger Weiſe ein Theil durch das Fenſter — wie mahlte ſich ſeine Phan¬ taſie das aus! Wie oft traͤumte ihm des Nachts von dieſem Katheder, und von langen Reihen von Baͤnken, wo die gluͤcklichen Schuͤler der Wei߬ heit ſaßen, in deren Geſellſchaft er nun bald ſoll¬ te aufgenommen werden. So beſtanden von ſeiner Kindheit auf ſeine eigentlichen Vergnuͤgungen groͤßtentheils in der Einbildungskraft, und er wurde dadurch einiger¬ maßen fuͤr den Mangel der wirklichen Jugend¬ freuden, die andre in vollem Maße genießen, ſchadloß gehalten. — Dicht neben der Schule fuͤhrten zwei lange Gaͤnge nach den nebeneinan¬ der gebauten Prieſterhaͤuſern. Die machten ihm einen ſo ehrwuͤrdigen Proſpekt, daß das Bild davon nebſt dem Schulgebaͤude Tag und Nacht das herrſchende in ſeiner Seele war — und denn die Benennung, hohe Schule, welche unter gemeinen Leuten im Gebrauch war, und der Aus¬ C 5

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/51>, abgerufen am 29.03.2024.