Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Das große Feld der Wissenschaften lag vor
ihm -- sein künftiger Fleiß, die nützlichste An¬
wendung jeder Stunde bei seinem künftigen Stu¬
dieren war den ganzen Tag über sein einziger Ge¬
danke, und die Wonne die er darin finden, und
die erstaunlichen Fortschritte, die er nun thun,
und sich Ruhm und Beifall dadurch erwerben
würde: mit diesen süßen Vorstellungen stand er
auf, und gieng damit zu Bette -- aber er wu߬
te nicht, daß ihm das Drückende und Erniedri¬
gende seiner äußern Lage dieß Vergnügen so sehr
verbittern würde. Anständig genährt und geklei¬
det zu seyn, gehört schlechterdings dazu, wenn
ein junger Mensch zum Fleiß im Studieren Muth
behalten soll. Beides war bei Reisern der Fall
nicht. Man wollte für ihn sparen, und ließ ihn
während der Zeit wirklich darben.

Seine Eltern reißten nun auch weg, und er
zog mit seinen wenigen Habseeligkeiten bei dem
Haubolsten F. . . ein, dessen Frau insbesondre
sich schon von seiner Kindheit an, seiner mit an¬
genommen hatte. -- Es herrschte bei diesen Leu¬
ten, die keine Kinder hatten, die größte Ordnung
in der Einrichtung ihrer Lebensart, welche viel¬

B 3

Das große Feld der Wiſſenſchaften lag vor
ihm — ſein kuͤnftiger Fleiß, die nuͤtzlichſte An¬
wendung jeder Stunde bei ſeinem kuͤnftigen Stu¬
dieren war den ganzen Tag uͤber ſein einziger Ge¬
danke, und die Wonne die er darin finden, und
die erſtaunlichen Fortſchritte, die er nun thun,
und ſich Ruhm und Beifall dadurch erwerben
wuͤrde: mit dieſen ſuͤßen Vorſtellungen ſtand er
auf, und gieng damit zu Bette — aber er wu߬
te nicht, daß ihm das Druͤckende und Erniedri¬
gende ſeiner aͤußern Lage dieß Vergnuͤgen ſo ſehr
verbittern wuͤrde. Anſtaͤndig genaͤhrt und geklei¬
det zu ſeyn, gehoͤrt ſchlechterdings dazu, wenn
ein junger Menſch zum Fleiß im Studieren Muth
behalten ſoll. Beides war bei Reiſern der Fall
nicht. Man wollte fuͤr ihn ſparen, und ließ ihn
waͤhrend der Zeit wirklich darben.

Seine Eltern reißten nun auch weg, und er
zog mit ſeinen wenigen Habſeeligkeiten bei dem
Haubolſten F. . . ein, deſſen Frau insbeſondre
ſich ſchon von ſeiner Kindheit an, ſeiner mit an¬
genommen hatte. — Es herrſchte bei dieſen Leu¬
ten, die keine Kinder hatten, die groͤßte Ordnung
in der Einrichtung ihrer Lebensart, welche viel¬

B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0031" n="21"/>
      <p>Das große Feld der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften lag vor<lb/>
ihm &#x2014; &#x017F;ein ku&#x0364;nftiger Fleiß, die nu&#x0364;tzlich&#x017F;te An¬<lb/>
wendung jeder Stunde bei &#x017F;einem ku&#x0364;nftigen Stu¬<lb/>
dieren war den ganzen Tag u&#x0364;ber &#x017F;ein einziger Ge¬<lb/>
danke, und die Wonne die er darin finden, und<lb/>
die er&#x017F;taunlichen Fort&#x017F;chritte, die er nun thun,<lb/>
und &#x017F;ich Ruhm und Beifall dadurch erwerben<lb/>
wu&#x0364;rde: mit die&#x017F;en &#x017F;u&#x0364;ßen Vor&#x017F;tellungen &#x017F;tand er<lb/>
auf, und gieng damit zu Bette &#x2014; aber er wu߬<lb/>
te nicht, daß ihm das Dru&#x0364;ckende und Erniedri¬<lb/>
gende &#x017F;einer a&#x0364;ußern Lage dieß Vergnu&#x0364;gen &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
verbittern wu&#x0364;rde. An&#x017F;ta&#x0364;ndig gena&#x0364;hrt und geklei¬<lb/>
det zu &#x017F;eyn, geho&#x0364;rt &#x017F;chlechterdings dazu, <choice><sic>weun</sic><corr>wenn</corr></choice><lb/>
ein junger Men&#x017F;ch zum Fleiß im Studieren Muth<lb/>
behalten &#x017F;oll. Beides war bei Rei&#x017F;ern der Fall<lb/>
nicht. Man wollte fu&#x0364;r ihn &#x017F;paren, und ließ ihn<lb/>
wa&#x0364;hrend der Zeit wirklich darben.</p><lb/>
      <p>Seine Eltern reißten nun auch weg, und er<lb/>
zog mit &#x017F;einen wenigen Hab&#x017F;eeligkeiten bei dem<lb/>
Haubol&#x017F;ten F. . . ein, de&#x017F;&#x017F;en Frau insbe&#x017F;ondre<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chon von &#x017F;einer Kindheit an, &#x017F;einer mit an¬<lb/>
genommen hatte. &#x2014; Es herr&#x017F;chte bei die&#x017F;en Leu¬<lb/>
ten, die keine Kinder hatten, die gro&#x0364;ßte Ordnung<lb/>
in der Einrichtung ihrer Lebensart, welche viel¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0031] Das große Feld der Wiſſenſchaften lag vor ihm — ſein kuͤnftiger Fleiß, die nuͤtzlichſte An¬ wendung jeder Stunde bei ſeinem kuͤnftigen Stu¬ dieren war den ganzen Tag uͤber ſein einziger Ge¬ danke, und die Wonne die er darin finden, und die erſtaunlichen Fortſchritte, die er nun thun, und ſich Ruhm und Beifall dadurch erwerben wuͤrde: mit dieſen ſuͤßen Vorſtellungen ſtand er auf, und gieng damit zu Bette — aber er wu߬ te nicht, daß ihm das Druͤckende und Erniedri¬ gende ſeiner aͤußern Lage dieß Vergnuͤgen ſo ſehr verbittern wuͤrde. Anſtaͤndig genaͤhrt und geklei¬ det zu ſeyn, gehoͤrt ſchlechterdings dazu, wenn ein junger Menſch zum Fleiß im Studieren Muth behalten ſoll. Beides war bei Reiſern der Fall nicht. Man wollte fuͤr ihn ſparen, und ließ ihn waͤhrend der Zeit wirklich darben. Seine Eltern reißten nun auch weg, und er zog mit ſeinen wenigen Habſeeligkeiten bei dem Haubolſten F. . . ein, deſſen Frau insbeſondre ſich ſchon von ſeiner Kindheit an, ſeiner mit an¬ genommen hatte. — Es herrſchte bei dieſen Leu¬ ten, die keine Kinder hatten, die groͤßte Ordnung in der Einrichtung ihrer Lebensart, welche viel¬ B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/31
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/31>, abgerufen am 19.04.2024.