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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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feines Betragen, seine hübsche Frisur, schlug ihn
nieder und machte ihn mißvergnügt mit sich selbst;
aber doch schärfte sich bald wieder das Gefühl bei
ihm, daß dieß unrecht sey, und er wurde nun
noch mißvergnügter über sein Mißvergnügen.

Ach, er hätte nicht nöthig gehabt, den armen
Knaben zu beneiden, dessen Glückssonne bald
ausgeschienen hatte. Binnen vierzehn Tagen kam
die Nachricht, daß sein Vater wegen Untreue sei¬
nes Dienstes entsetzt sey. Für den jungen Men¬
schen konnte also auch die Pension nicht länger be¬
zahlt werden, der Pastor M. . . schickte ihn seinen
Anverwandten wieder, und Reiser behielt seinen
ersten Platz. Er konnte seine Freude wegen der
Folgen, die dieser Vorfall für ihn hatte, nicht un¬
terdrücken, und doch machte er sich selber Vor¬
würfe wegen seiner Freude -- er suchte sich zum
Mitleid zu zwingen, weil er es für recht hielt --
und die Freude zu unterdrücken, weil er sie für
unrecht hielt; sie hatte aber demohngeachtet die
Oberhand, und er half sich denn am Ende damit,
daß er doch nicht wieder das Schicksal könne, wel¬
ches nun den jungen Menschen einmal habe un¬
glücklich machen wollen. Hier ist die Frage: wenn

feines Betragen, ſeine huͤbſche Friſur, ſchlug ihn
nieder und machte ihn mißvergnuͤgt mit ſich ſelbſt;
aber doch ſchaͤrfte ſich bald wieder das Gefuͤhl bei
ihm, daß dieß unrecht ſey, und er wurde nun
noch mißvergnuͤgter uͤber ſein Mißvergnuͤgen.

Ach, er haͤtte nicht noͤthig gehabt, den armen
Knaben zu beneiden, deſſen Gluͤcksſonne bald
ausgeſchienen hatte. Binnen vierzehn Tagen kam
die Nachricht, daß ſein Vater wegen Untreue ſei¬
nes Dienſtes entſetzt ſey. Fuͤr den jungen Men¬
ſchen konnte alſo auch die Penſion nicht laͤnger be¬
zahlt werden, der Paſtor M. . . ſchickte ihn ſeinen
Anverwandten wieder, und Reiſer behielt ſeinen
erſten Platz. Er konnte ſeine Freude wegen der
Folgen, die dieſer Vorfall fuͤr ihn hatte, nicht un¬
terdruͤcken, und doch machte er ſich ſelber Vor¬
wuͤrfe wegen ſeiner Freude — er ſuchte ſich zum
Mitleid zu zwingen, weil er es fuͤr recht hielt —
und die Freude zu unterdruͤcken, weil er ſie fuͤr
unrecht hielt; ſie hatte aber demohngeachtet die
Oberhand, und er half ſich denn am Ende damit,
daß er doch nicht wieder das Schickſal koͤnne, wel¬
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gluͤcklich machen wollen. Hier iſt die Frage: wenn

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[12/0022] feines Betragen, ſeine huͤbſche Friſur, ſchlug ihn nieder und machte ihn mißvergnuͤgt mit ſich ſelbſt; aber doch ſchaͤrfte ſich bald wieder das Gefuͤhl bei ihm, daß dieß unrecht ſey, und er wurde nun noch mißvergnuͤgter uͤber ſein Mißvergnuͤgen. Ach, er haͤtte nicht noͤthig gehabt, den armen Knaben zu beneiden, deſſen Gluͤcksſonne bald ausgeſchienen hatte. Binnen vierzehn Tagen kam die Nachricht, daß ſein Vater wegen Untreue ſei¬ nes Dienſtes entſetzt ſey. Fuͤr den jungen Men¬ ſchen konnte alſo auch die Penſion nicht laͤnger be¬ zahlt werden, der Paſtor M. . . ſchickte ihn ſeinen Anverwandten wieder, und Reiſer behielt ſeinen erſten Platz. Er konnte ſeine Freude wegen der Folgen, die dieſer Vorfall fuͤr ihn hatte, nicht un¬ terdruͤcken, und doch machte er ſich ſelber Vor¬ wuͤrfe wegen ſeiner Freude — er ſuchte ſich zum Mitleid zu zwingen, weil er es fuͤr recht hielt — und die Freude zu unterdruͤcken, weil er ſie fuͤr unrecht hielt; ſie hatte aber demohngeachtet die Oberhand, und er half ſich denn am Ende damit, daß er doch nicht wieder das Schickſal koͤnne, wel¬ ches nun den jungen Menſchen einmal habe un¬ gluͤcklich machen wollen. Hier iſt die Frage: wenn

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/22>, abgerufen am 20.04.2024.