Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

ein jeder ließ für sich seiner Laune freien Lauf --
Reiser gieng auf den Boden, und musterte seine
Kirschkerne -- M... ging bei sein großes Brodt,
daß er sorgfältig in einem Koffer verschlossen hatte
-- und G... lag auf dem Bette, und machte
Projekte, die denn nicht die besten waren, wie
sich bald nachher zeigte -- zwei Bücher laß doch
Reiser damals, weil er kein anders hatte, zu
verschiedenenmalen durch, indem er auf dem Bo¬
den zwischen seinen Kirschkernen saß -- das waren
die Werke des Philosophen von Sanssouci, und
Popens Werke nach Duschens Uebersetzung, die
er beide von dem Schuster S... geliehen bekom¬
men hatte.

Diese drei Leute gingen nun auch eines Tages
zusammen in einer schönen Gegend von H...
längst dem Fluß spatzieren, in welchem sich eine
kleine Insel erhob, die ganz voller Kirschbäume
stand. --

Für unsre drei Abentheurer waren diese
Kirschbäume, die alle voll der schönsten Kirschen
saßen, ein so einladender Anblick, daß sie sich
des Wunsches nicht enthalten konnten, auf diese

ein jeder ließ fuͤr ſich ſeiner Laune freien Lauf —
Reiſer gieng auf den Boden, und muſterte ſeine
Kirſchkerne — M... ging bei ſein großes Brodt,
daß er ſorgfaͤltig in einem Koffer verſchloſſen hatte
— und G... lag auf dem Bette, und machte
Projekte, die denn nicht die beſten waren, wie
ſich bald nachher zeigte — zwei Buͤcher laß doch
Reiſer damals, weil er kein anders hatte, zu
verſchiedenenmalen durch, indem er auf dem Bo¬
den zwiſchen ſeinen Kirſchkernen ſaß — das waren
die Werke des Philoſophen von Sansſouci, und
Popens Werke nach Duſchens Ueberſetzung, die
er beide von dem Schuſter S... geliehen bekom¬
men hatte.

Dieſe drei Leute gingen nun auch eines Tages
zuſammen in einer ſchoͤnen Gegend von H...
laͤngſt dem Fluß ſpatzieren, in welchem ſich eine
kleine Inſel erhob, die ganz voller Kirſchbaͤume
ſtand. —

Fuͤr unſre drei Abentheurer waren dieſe
Kirſchbaͤume, die alle voll der ſchoͤnſten Kirſchen
ſaßen, ein ſo einladender Anblick, daß ſie ſich
des Wunſches nicht enthalten konnten, auf dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0190" n="180"/>
ein jeder ließ fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;einer Laune freien Lauf &#x2014;<lb/>
Rei&#x017F;er gieng auf den Boden, und mu&#x017F;terte &#x017F;eine<lb/>
Kir&#x017F;chkerne &#x2014; M... ging bei &#x017F;ein großes Brodt,<lb/>
daß er &#x017F;orgfa&#x0364;ltig in einem Koffer ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte<lb/>
&#x2014; und G... lag auf dem Bette, und machte<lb/>
Projekte, die denn nicht die be&#x017F;ten waren, wie<lb/>
&#x017F;ich bald nachher zeigte &#x2014; zwei Bu&#x0364;cher laß doch<lb/>
Rei&#x017F;er damals, weil er kein anders hatte, zu<lb/>
ver&#x017F;chiedenenmalen durch, indem er auf dem Bo¬<lb/>
den zwi&#x017F;chen &#x017F;einen Kir&#x017F;chkernen &#x017F;&#x2014; das waren<lb/>
die Werke des Philo&#x017F;ophen von Sans&#x017F;ouci, und<lb/>
Popens Werke nach Du&#x017F;chens Ueber&#x017F;etzung, die<lb/>
er beide von dem Schu&#x017F;ter S... geliehen bekom¬<lb/>
men hatte.</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;e drei Leute gingen nun auch eines Tages<lb/>
zu&#x017F;ammen in einer &#x017F;cho&#x0364;nen Gegend von H...<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t dem Fluß &#x017F;patzieren, in welchem &#x017F;ich eine<lb/>
kleine In&#x017F;el erhob, die ganz voller Kir&#x017F;chba&#x0364;ume<lb/>
&#x017F;tand. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Fu&#x0364;r un&#x017F;re drei Abentheurer waren die&#x017F;e<lb/>
Kir&#x017F;chba&#x0364;ume, die alle voll der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Kir&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;aßen, ein &#x017F;o einladender Anblick, daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
des Wun&#x017F;ches nicht enthalten konnten, auf die&#x017F;e<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0190] ein jeder ließ fuͤr ſich ſeiner Laune freien Lauf — Reiſer gieng auf den Boden, und muſterte ſeine Kirſchkerne — M... ging bei ſein großes Brodt, daß er ſorgfaͤltig in einem Koffer verſchloſſen hatte — und G... lag auf dem Bette, und machte Projekte, die denn nicht die beſten waren, wie ſich bald nachher zeigte — zwei Buͤcher laß doch Reiſer damals, weil er kein anders hatte, zu verſchiedenenmalen durch, indem er auf dem Bo¬ den zwiſchen ſeinen Kirſchkernen ſaß — das waren die Werke des Philoſophen von Sansſouci, und Popens Werke nach Duſchens Ueberſetzung, die er beide von dem Schuſter S... geliehen bekom¬ men hatte. Dieſe drei Leute gingen nun auch eines Tages zuſammen in einer ſchoͤnen Gegend von H... laͤngſt dem Fluß ſpatzieren, in welchem ſich eine kleine Inſel erhob, die ganz voller Kirſchbaͤume ſtand. — Fuͤr unſre drei Abentheurer waren dieſe Kirſchbaͤume, die alle voll der ſchoͤnſten Kirſchen ſaßen, ein ſo einladender Anblick, daß ſie ſich des Wunſches nicht enthalten konnten, auf dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/190
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/190>, abgerufen am 18.04.2024.