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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Endlich aber nachdem er zum erstenmale drei
Tage, ohne zu essen zugebracht, und sich den
ganzen Tag über mit Thee hingehalten hatte,
drang der Hunger mit Ungestüm auf ihn ein,
und das ganze schöne Gebäude seiner Phantasie
stürzte fürchterlich zusammen -- er rannte mit
dem Kopfe gegen die Wand, wüthete und tobte,
und war der Verzweiflung nahe, da sein Freund
Philipp Reiser, den er so lange vernachläßiget
hatte, zu ihm hereintrat, und seine Armuth, die
freilich auch nur in einigen Groschen bestand mit
ihm theilte. --

Indes war dieß nur ein sehr geringes Pallia¬
tiv -- denn Philipp Reiser befand sich damals
in nicht viel bessern Umständen als Anton Reiser.

Dieser gerieth nun wirklich in einen fortdau¬
renden fürchterlichen Zustand, der der Verzweif¬
lung nahe war. --

So wie sein Körper immer weniger Nahrung
erhielt, verlosch allmälig seine ihn sonst noch be¬
lebende Phantasie, und sein Mitleid über sich
selbst verwandelte sich in Haß und Bitterkeit ge¬
gen sein eignes Wesen, ehe er nun einen Schritt

Endlich aber nachdem er zum erſtenmale drei
Tage, ohne zu eſſen zugebracht, und ſich den
ganzen Tag uͤber mit Thee hingehalten hatte,
drang der Hunger mit Ungeſtuͤm auf ihn ein,
und das ganze ſchoͤne Gebaͤude ſeiner Phantaſie
ſtuͤrzte fuͤrchterlich zuſammen — er rannte mit
dem Kopfe gegen die Wand, wuͤthete und tobte,
und war der Verzweiflung nahe, da ſein Freund
Philipp Reiſer, den er ſo lange vernachlaͤßiget
hatte, zu ihm hereintrat, und ſeine Armuth, die
freilich auch nur in einigen Groſchen beſtand mit
ihm theilte. —

Indes war dieß nur ein ſehr geringes Pallia¬
tiv — denn Philipp Reiſer befand ſich damals
in nicht viel beſſern Umſtaͤnden als Anton Reiſer.

Dieſer gerieth nun wirklich in einen fortdau¬
renden fuͤrchterlichen Zuſtand, der der Verzweif¬
lung nahe war. —

So wie ſein Koͤrper immer weniger Nahrung
erhielt, verloſch allmaͤlig ſeine ihn ſonſt noch be¬
lebende Phantaſie, und ſein Mitleid uͤber ſich
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[172/0182] Endlich aber nachdem er zum erſtenmale drei Tage, ohne zu eſſen zugebracht, und ſich den ganzen Tag uͤber mit Thee hingehalten hatte, drang der Hunger mit Ungeſtuͤm auf ihn ein, und das ganze ſchoͤne Gebaͤude ſeiner Phantaſie ſtuͤrzte fuͤrchterlich zuſammen — er rannte mit dem Kopfe gegen die Wand, wuͤthete und tobte, und war der Verzweiflung nahe, da ſein Freund Philipp Reiſer, den er ſo lange vernachlaͤßiget hatte, zu ihm hereintrat, und ſeine Armuth, die freilich auch nur in einigen Groſchen beſtand mit ihm theilte. — Indes war dieß nur ein ſehr geringes Pallia¬ tiv — denn Philipp Reiſer befand ſich damals in nicht viel beſſern Umſtaͤnden als Anton Reiſer. Dieſer gerieth nun wirklich in einen fortdau¬ renden fuͤrchterlichen Zuſtand, der der Verzweif¬ lung nahe war. — So wie ſein Koͤrper immer weniger Nahrung erhielt, verloſch allmaͤlig ſeine ihn ſonſt noch be¬ lebende Phantaſie, und ſein Mitleid uͤber ſich ſelbſt verwandelte ſich in Haß und Bitterkeit ge¬ gen ſein eignes Weſen, ehe er nun einen Schritt

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/182>, abgerufen am 29.03.2024.